Die Krux mit dem Ökolabel
«Auch das noch», denkt sich Hannes. Wieder mal ist an der Geschäftsleitersitzung ihm das Detailkonzept aufgehalst worden. Das Unternehmen hat sich eine neue Teilstrategie gegeben. Neben den klassischen Erfolgsfaktoren hat es sich «Nachhaltigkeit» auf die Fahne geschrieben. Das internationale Ökolabel soll angestrebt werden, damit der Kunde weiss, dass hier nicht nur gut, sondern auch nachhaltig und biologisch gearbeitet wird.
Selbstverständlich sind die grossen Brocken bereits umgesetzt. Dass die Produktion möglichst energiearm läuft, ist Vorschrift. Dass das Entsorgungskonzept der Nachhaltigkeit unterliegt, ist weder neu, noch freiwillig. Im Alltag aber gibts noch Potenzial. Hier soll der Hebel angesetzt werden. Denn Ökologie gehört nicht nur in die Fabrikationshallen, sondern in den Alltag aller betrieblichen Detailabläufe. Erst dann erreicht man das Bewusstsein der Mitarbeitenden und schliesslich der Kunden.
Hannes ist etwas ratlos. Er sitzt uninspiriert am Computer, hat ein Word-Dokument geöffnet, Titel gesetzt und Platz für Illustrationen ausgespart. Und nun klemmts. Er steht auf, Bewegung bringt auch das Hirn in die Gänge. Die besten Ideen springen einen oft dann an, wenn man durch die Korridore schlendert oder vor dem Objekt steht. Das hat Hannes wiederholt erlebt.
Bereits in seinem Büro beginnt er mit den ersten Notizen. Dass die Standby-Funktion des PCs etwas früher einsetzen kann, damit hat er sich schon beschäftigt. Aber wie wäre es, wenn die Bildschirmdarstellung etwas unschärfer und kleiner wäre? Das würde sicher Strom sparen. Er notiert es sich. Dass die Mikrofasertücher, die für die kleine «Reinigung» zwischendurch an jedem Arbeitsplatz liegen, viel Chemie enthalten, ist so gut wie sicher. Also: «Mikrofaser- Tücher durch Woll-Lappen aus einheimischer Produktion ersetzen ».
Hannes ist überzeugt, dass gerade mit zahlreichen Detaillösungen der entscheidende Effekt erreicht wird und die Mitarbeitenden für das Thema sensibilisiert werden. Dass die Abwärme des PCs und des Druckers für die Kaffeemaschine genutzt werden kann, ist sinnvoll, – es muss einfach noch technisch umgesetzt werden. Aber es findet sich sicher jemand, der das in die Hand nimmt. Toiletten sind Herde von Energieverschleiss. Warum muss der Raum so hell beleuchtet sein? Wer ihn nicht auswendig kennt, ist nicht wach genug und hat im anspruchsvollen Geschäftsalltag nichts verloren. Energiesparlampen sind gut – aber keine Lampe ist noch besser. Zudem hat die Toi lette ein Fenster. Dieses lässt genügend Licht herein. In den Wintermonaten ist daran zu denken, das Geschäft vor Einbruch der Dunkelheit nochmals zu erledigen, damit die Blase bis Feierabend «durchhält».
Die Kaffee-Ecke hat ebenfalls ökologisches Potenzial. Kaffeemaschinen werden schon länger auf Standby gesetzt. Aber der zeitliche Ablauf kann optimiert werden: Heisser Kaffee ist nur zwischen neun und zehn Uhr erhältlich. Die ausgeworfenen Nespresso-Kapseln werden im Schnellverfahren verbrannt und deren Abwärme für die Zeitperiode von elf bis zwölf Uhr in Strom gewandelt. «Eine innovative und visionäre Idee», ist Hannes überzeugt und lächelt zufrieden vor sich hin.
Die Zeitungen in der Betriebskantine haben am Abend ihren Zweck erfüllt und landen in der Entsorgung. Hier sollte überlegt werden, ob und wie diese anfallenden Papierkilos nochmals zu verwenden sind. Zum Beispiel als Saugpapier im Entfeuchtungsapparat im Serverraum. Oder kunstvoll gefaltet als Einweg-Handyhülle, um auch bei jenen Geräten die Langlebigkeit zu fördern, ohne profan-giftige Kunststoffhüllen, sondern in ökologisch hochwertigen Schutzhüllen.
Hannes kommt in Fahrt. Es macht ihm Spass, an Details zu feilen und innovative Lösungen zu finden. Er notiert Stichworte und zählt die Ideen. Sämtliche Produkte aus der Produktion sollen mit einem grünen Punkt versehen werden, damit die Kunden die Bemühungen wirklich wahrnehmen. Hannes’ Fantasie befeuert einen weiteren innovativen Vorschlag: Im Eingangsbereich des Unternehmens soll Vogelgezwitscher durch ein Quadrophonie- Lautsprecher-System eingespielt werden. Die Energie dafür wird auf dem Dach gewonnen, im hauseigenen Kraftwerk, das mit dem gesammelten Kot der echten Vögel gespeist wird.
Potenzial sichtet Hannes auch in der Betriebskantine. Selbstverständlich sollen alle Speisen aus heimischer Produktion stammen. In einer Übergangsphase wird «heimisch» so definiert, dass die Lebensmittel aus einem Land stammen, aus dem mindestens ein Mitarbeiter herkommt. Bei 25 verschiedenen Nationen muss man sich so nicht allzu stark einschränken. Zu guter Letzt soll in der Raucherecke im Innenhof der Rauch als Abluft gesammelt eine Miniturbine antreiben. Diese wiederum wird genutzt, um die grünen Aufkleber für die Produkte zu stanzen. Ökologie setzt voraus, vernetzt und in komplexen Systemen zusammenhängend zu denken und handeln.
Nun gut – das papierlose Büro lässt noch auf sich warten. Aber schliesslich muss das Konzept auch ohne Energie an allen Arbeitsplätzen lesbar sein. Dafür braucht es beim besten Willen bedrucktes Papier.