Hannes wird PR-Profi

D ie heutige Geschäftsleitungssitzung hat den Charakter eines veritablen Krisen-Meetings. Der Marketing-Leiter ist in Auszeit und die Kommunikationsverantwortliche im Mutterschaftsurlaub. Eine Ablösung ist für keinen der beiden organisiert. Der CEO verwirft die Arme und blafft in die Runde: «Das darf nie mehr passieren, so etwas geht einfach nicht!». Er macht seinem Ärger Luft und das Team-Ambiente im Sitzungszimmer wird ziemlich streng.

Hannes sinniert vor sich hin: «Hauptsache, er kann den Chef markieren. Denn die Anwesenden sind gerade die, welche für die Situation nicht verantwortlich sind. Überhaupt: ER hat die Auszeit bewilligt und den Mutterschaftsurlaub signiert an die HRAbteilung übergeben. Man hätte das ja kommen sehen können», folgert Hannes in seinem Gedankengang. Da kreiert man Weisungen über Weisungen, dass alles koordiniert abläuft, und verlangt von den Mitarbeitenden Rücksicht im Team und die FamilienEltern. Nie dürfen zwei Personen vom gleichen Team gleichzeitig abwesend und die Ablösung muss sichergestellt sein.

 

Was für das Sekretariat, die Logistikabteilung und alle andern gilt, ist für die Geschäftsleitung offensichtlich nicht mehr als eine Empfehlung. Dass die Kommunikationsverantwortliche schwan

 

«Wenn nichts läuft, inszenier etwas.»

 

ger wird … ok, das mag ja noch durchgehen. Aber dass sie das nicht 15 Monate im Voraus weiss? Noch schlimmer, eine Auszeit ohne die Ablösung zu organisieren … Hannes ist ausser sich.

 

Für Hannes wäre alles nur halb so schlimm. Denn im Grunde ist es das Problem der HR-Abteilung und der Marketing-Division. Wenn da nicht der Mehrheitsentscheid seiner Kollegen wäre, dass er, Hannes, die nächsten zwei Monate für die Kommunikation nach aussen verantwortlich ist. Er ist der Einzige, der Zeit hat, denn Anfangs Jahr ist die Produktion gering ausgelastet und auch das nur mit Standardprodukten. Das besagt der langjährige Trend. Nun hat Hannes also den zusätzlichen Titel «PR and Communication Manager adinterim». Die Übertragung dieser Aufgabe geht einher mit dem innigen Wunsch des CEO, dass endlich wieder mal was Positives in der Zeitung stehen sollte. Pressearbeit vom Feinsten – die ist gut und kostet nichts.

 

Guter Rat dagegen ist teuer. Denn zurzeit macht das Unternehmen höchstens mit schlechtem Geschäftsgang Schlagzeilen. Besonders PR-trächtig sind auch die Produkte nicht. Hydraulik-Pumpen für Sägewerke sind nicht gerade das, wonach die Bevölkerung in der Tageszeitung lechzt. Hannes konsultiert Ratgeber und ruft schliesslich seinen nimmermüden Schulkollegen Sebastian an. «Der ist immer auf Achse – er hat sicher eine gute Idee.» Hannes sollte recht behalten. Sebastian rät: «Wenn nichts läuft, inszenier etwas.»

 

Tönt gut – aber was? Hannes steht vor dem nächsten Problem. Doch plötzlich durchzuckt ihn der Geistesblitz: Nächste Woche werden die Fahrradständer mit Unterstand für die Produktionsmitarbeiter von der Ostseite der Gebäude an die Nordseite verschoben. Das gibt eine Party! Hannes ist euphorisch, denn einen so genialen PR-Schachzug hat die ganze Kommunikationsabteilung in fünf Jahren nicht aus dem Hut gezaubert. Hannes erstellt eine Checkliste, was alles zu tun ist, um dann der Presse eine Pressemappe zukommen zu lassen, die alles schlägt, was je aus diesem Hause gekommen ist. Er beginnt stichwortartig zu notieren:

  • Fackelzug mit Schulkindern vom Dorf, die den Umzug der Fahrradständer begleiten
  • Ballonwettbewerb für die älteren Kinder, an jedem FahrradHaken ist ein Ballon befestigt
  • Der Pfarrer segnet die Fahrradständer am neuen Platz ein.
  • Ein ehemaliger Rad-Profi rast kurz nach der Eröffnungszeremonie auf den Platz und schiesst sein Rennrad in den ersten Ständer.
  • Bier gibts selbstverständlich gratis bis zum Abwinken.
  • Die beiden Haken ganz links des neuen Fahrradständers dienen als Grillgestänge. Darunter gibts ein Feuer und Würste in Form von alten Reifenschläuchen, die der Metzger extra so produziert, werden auf den Behelfsgrill geworfen und kostenlos abgegeben.
  • Ein Torwandschiessen auf den Fahrradunterstand begeistert die männlichen Gäste und macht erst noch Lärm. «Es muss Lärm machen, sonst hört man dich nicht», hat Sebastian gesagt.
  • Die Zeremonie wird durch 14 Ansprachen gehörig in die Länge gezogen, damit die Presse schlichtweg nicht darum herum kommt, darüber zu berichten.
  • Unmittelbar danach gibt es für Familien und die Presse noch eine Besteigung des neuen Fahrrad-Unterstandes mit Blick von oben auf den Parkplatz. Schliesslich sieht die Welt 1,7 Meter über Boden ganz anders aus.

 

Hannes ist im Schuss und bedauert bereits jetzt, dass er diesen Job nach zwei Monaten wieder abgeben muss. Aber wer weiss, vielleicht wird er so berühmt sein, dass er sich künftig ein wenig zurücklehnen kann und Zeit fürs Fahrradfahren (inklusive der Besteigungen von diversen Unterständen im ganzen Land) hat.

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