Integriertes Qualitätsmanagement in der Physiotherapie
Das Strategiekonzept des Bundes «Gesundheit2020 » bedarf einer vernetzteren Betrachtungsweise innerhalb des Gesundheitswesens, welche zum Ziel hat, ein integriertes Qualitätsmanagement zum Nutzen für Patientinnen und Patienten als Leistungsbeziehende umzusetzen. Es stellt sich die Frage, welche Chancen sich dadurch für die Physiotherapie-Praxisinstitutionen als Leistungserbringende ergeben und welche Anpassungen sinnvoll erscheinen.
Leistungserbringende im Gesundheitswesen haben sich mit Ihren Dienstleistungen und Produkten an die «WZW-Formel» zu halten.
«WZW» bedeutet für Leistungserbringende, nach wirtschaftlichen, zweckmässigen und wirksamen Kriterien Leistungen gegenüber Patientinnen und Patienten zu erbringen. Die Strategie des Bundes, «Gesundheit2020», sieht vor, dass die Transparenz und Steuerbarkeit des Gesundheitssystems künftig effizienter umgesetzt werden soll. «Gesundheit2020» fordert Qualität, Patientensicherheit und die angemessene Weiterentwicklung von Forschung, Bildung und Vernetzung. Definierte Strategien und Vorgehensweisen bedürfen der Umsetzung mit konsequenter Bewertung und Verbesserung. Gerade Letzteres ist sehr komplex.
Kontextfaktoren
Bedingt durch die verschiedenen involvierten Fachdisziplinen und dadurch entstehende Schnittstellen in der stationären und ambulanten Patientengrundversorgung, muss die gesamte Behandlungskette von Patientinnen und Patienten berücksichtigt werden. Der Ansatz, die Vernetzung und Abstimmung sämtlicher im Behandlungsprozess Beteiligten zu institutionalisieren ,ist nicht neu. Ergänzend braucht es Pilotprojekte, die die Wirksamkeit der Massnahmen durch die Vernetzung zwischen Physiotherapeuten, Ärzten und Medizintechnikern aufzeigen. Abschliessend ist die Effizienz und Wirksamkeit von operativen Verfahren erst nach Abschluss der gesamten Rehabilitationskette beurteilbar.
Rahmengesetzgebung
Nach Krankenversicherungsgesetz (KVG Art. 58, Art. 77 KW), Unfallversicherungsgesetz (Art. 48 und 54 UVG) und Militärversicherungsgesetz (Art. 25 MVG) sind Leistungserbringende wie beispielsweise Physiotherapeuten verpflichtet, die geforderten Qualitätskriterien zu erfüllen. Das Qualitätskonzept des Berufsverbandes physioswiss aus dem Jahr 2001 umfasst:
- Kontinuierliche Verbesserung (KVP-Prozess)
- Datenbasiertes Qualitätsmanagement
- Patientenfokussiertes Vorgehen
- Vermeidung von unnötigen Leistungen
- Vermeidung von unnötigen Kosten
Selbstständig tätige Physiotherapeuten verpflichten sich gemäss QKonzept zum institutionalisierten Qualitätsmanagement in der Praxisführung, unabhängig vom Praxismodell und unabhängig davon, ob die Praxisleitung eine Physiotherapieausbildung in der Schweiz oder im Ausland durchlaufen hat. Es existieren im Schweizer Gesundheitssystem folgende Praxismodelle:
- Privatpraxis als Alleinunternehmen
- Praxisgemeinschaft mit frei praktizierenden Physiotherapeuten
- Praxis mit angestellten Physiotherapeuten
- Praxis mit gemischten Teams (angestellt, freiberuflich)
- Praxisgemeinschaft mit verschiedenen Leistungserbringenden
Alle sind gefordert, diese Qualitätskriterien hinsichtlich «Gesundheit2020 » zu erfüllen.
Am Beispiel des Handlungsfeldes 3 «Versorgungsqualität sichern und erhöhen» ist die Absichtserklärung mit der Zielsetzung 3.1 (vgl. Kasten) ersichtlich. Das skizzierte Verbesserungspotenzial in der Leistungserbringung wird politisch, gesellschaftlich und innerhalb der einzelnen Fach- und Berufsgruppen viel diskutiert.
Integriertes Qualitätsmanagement in der Physiotherapie-Privatpraxis
Die freiberuflichen Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten sind (sofern Mitglied des Berufsverbandes physioswiss) verpflichtet, sich an das Qualitätskonzept und den Leistungsvertrag von physioswiss zu halten. Basierend auf dieser Grundlage ergibt sich die Rechnungsstellung an die Patientinnen und Patienten. Gemäss Krankenversicherungsgesetz (KVG) übernehmen die Krankenkassen anhand des Tarifsystems und des kantonalen Taxpunktwertes die Rückvergütungen. Abhängig vom Ereignis erfolgt die Abrechnung über die Tarife der SUVA, IV oder Militärversicherung. Daher stellt das Qualitätsmanagement besondere Anforderungen an den Behandlungs- und Abrechnungsprozess, unabhängig davon ob die Physiotherapie künftig weiterhin über den Arzt verschrieben wird oder ob der Direktzugang wie beispielsweise in England möglich wird. Die Überprüfung des Prozesswirkungsgrades erfolgt mittels klinischen Verlaufszeichen und Kennzahlen, welche die Effizienz und Effektivität der Behandlungsstrategie und der definierten Zielerreichung dokumentieren. Ein Soll-Ist-Vergleich ist nach jeder Behandlung nötig. Spätestens nach 5 Behandlungen muss die Standortbestimmung hinsichtlich der maximal 9 ärztlich verordneten Behandlungssitzungen erfolgen. Basierend auf dem Resultat wird über eine weitere Behandlungsperiode bestimmt. Die Dokumentation des Diagnostik- und Therapieprozesses ist das zentrale Werkzeug in der Qualitätssicherung sowie im Nachweis der Qualität.
Innerhalb der Physiotherapie in Praxisinstitutionen kann die Qualitätsverbesserung durch die Einführung von Assessments erzielt werden. Qualitätsverbesserungen und die Weiterentwicklung sämtlicher am Behandlungsprozess Beteiligter sollten daher über die Berufsgruppen hinausgehend stattfinden.
Health Technology
Assessment (HAT) Die Forderung lautet dahingehend, sämtliche Stakeholder, Akteure und Interessensgruppen, welche in der Behandlungskette der Patientinnen und Patienten stehen, gezielt und ganzheitlich miteinzubeziehen. Die Diskussionen bezüglich Überwachung, Überprüfung und Regelung anhand eines Kompetenzzentrums im schweizerischen Gesundheitssystem sind diesbezüglich nicht abgeschlossen.
Selbstassessment
Die Ressourcen für die Selbstprüfung innerhalb der Behandlungskette mit der gezielten Erfassung der Schnittstellen sind heute bereits vorhanden. Diese kämen einem Health Technology Assessment (HAT) nahe. Dieses Potenzial ist heute teilweise ungenutzt. Mehrere öffentliche Spitäler, Privat- und Rehabilitationskliniken verpflichten sich dem nachhaltigen Management gemäss EFQM-Business-Excellence- Modell 2013.
Praxisbeispiel freiberuflich tätige Physiotherapeuten
Für die ambulante Grundversorgung zeigt das Praxisbeispiel Physiotherapie Folgendes: Die Problemstellung in der Umsetzung der WZW-Formel ergibt sich aus den unterschiedlichen Ansprüchen bezüglich wirtschaftlichen, zweckmässigen und wirksamen Dienstleistungen innerhalb der Konstellation von Leistungserbringer, Leistungsbezieher und Leistungsträger. Die ganzheitliche Erfassung bedeutet, dass sämtliche Leistungsprozesse der Dienstleistungen in der Abrechnungssystematik zeitgemäss abgebildet sind. Dies ist für die freiberuflich tätigen Physiotherapeuten nur bedingt gegeben. Das Engagement für die Umsetzung von «Gesundheit2020» bringt Perspektiven und eine neue Ausgangslage in der Weiterentwicklung von Health Technology Assessment in der Schweiz und bereits bestehenden anerkannten Management- Modellen zur Qualitätssicherung. Modelle mit dem Charakter ganzheitlicher Erfassung, wie es beispielsweise das EFQM-Modell 2013 aufzeigt, sind zu verfolgen.
Qualität
Der Leistungsprozess bezüglich Qualität in der erfolgreichen Patientenbehandlung und Zielerreichung wird zunehmend durch verschiedene Interessen der Anspruchsgruppen beurteilt und bestimmt. Der Patient als Leistungsbezieher und Endkunde sollte künftig bei operativen Massnahmen und deren Zielerreichung bezüglich Zweckmässigkeit und Wirksamkeit verstärkt berücksichtigt werden. Für die erfolgreiche Zielerreichung und Behandlung der funktionellen Störung ist die Erfassung innerhalb der Behandlungskette zentral. Der erste Kontakt mit der Befundaufnahme im persönlichen Untersuchungsgespräch, dem physischen Untersuch, der evaluierten Behandlungsstrategie mit definierter Behandlungskonzeption stützt sich auf das ICF-Modell der Weltgesundheitsorganisation WHO. Dieses Modell zeigt die Körperstrukturen, Körperfunktionen, Aktivitäten und die Partizipation sowie Interaktionen inklusive der damit verbundenen Kontextfaktoren auf. Der klinische Denk-, Handlungsund Ent-scheidungsprozess wird in der Schweiz auf qualitativ hochstehendem Niveau in der Physiotherapieausbildung auf Tertiärstufe gelehrt. Mit der Bologna-Bildungsreform findet die Ausbildung seit 2006 an den Fachhochschulen statt.
Patientenfokus
Die Orientierung am Patienten und Leistungsbezieher mit der erfolgreichen Problemlösung der gesundheitlichen Störung und Einschränkung unterscheidet die Dimensionen
- Indikationsqualität
- Strukturqualität
- Prozessqualität
- Ergebnisqualität
Die Dokumentation und Kommunikation innerhalb der Qualitätsdimensionen sind Faktoren, welche die Zweckmässigkeit und Wirksamkeit aufzeigen. Diese sind für die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistung der Praxistätigkeit heranzuziehen als Key Performance Indicators, damit die Qualität gezielt gesteuert wird und die Lenkung der Geschäftstätigkeit im Sinne des Leistungsauftrages gemäss KVG geleistet wird. Die Qualitätssteigerung durch die Anwendung des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses, (KVP) orientiert sich an dem ganzheitlichen Management-Modell EFQM 2013. Somit können die aufgezeigten Lücken und Schnittstellen in der effizienten Patientenbehandlung beseitigt werden. Die Ursachen- und Wirkungszusammenhänge gilt es zu erkennen und zu erschliessen. Sie lassen sich nicht alleine innerhalb von einzelnen Fachdisziplinen und Gremien bestimmen. Für komplexe Systeme und Problemstellungen braucht es in der Lösung ganzheitliche Betrachtungs- und Managementmodelle, die Verständnis zwischen den Anspruchsgruppen fördern. Ganzheitliche Management-Modelle schaffen Transparenz und sind für sämtliche Anspruchsgruppen und die unterschiedlichen Leistungserbringer im Gesundheitssystem geeignet. Ganzheitlich bedeutet, den Blickwinkel zu öffnen, und bedingt, dass herkömmliche klinische, technische, kulturelle und psychologische Denk- und Handlungsmuster aufgelöst werden. Fortschritt verlangt in der Praxis nach konsequenter Umsetzung mit konkreten Handlungsschritten, die über eine Absichtserklärung hinausgehen. Nachhaltige Qualitätsverbesserung findet nicht auf dem Papier statt und ist nur dann nachhaltig, wenn diese regelmässig überprüft und daraus Konsequenzen in Form von Handlungsschritten folgen.
Qualität beurteilen
Die Qualitätsprüfung im Soll-Ist Vergleich ist mit dem ganzheitlichen Management-Modell EFQM-2013 und dem Assessment möglich. Physiotherapie Praxisinstitutionen können anhand des ganzheitlichen Management-Modells EFQM-2013 in der Selbstprüfung den Reifegrad der Leistungsqualität unabhängig von gewählten Praxismodell, beurteilen. Es gilt die Qualität zu beurteilen und aus Fehlern zu lernen, sei es im Umgang mit Produkten, Prozessen oder Systemen. Dazu gehört die sorgfältige Planung und Anwendung von Methoden und Massnahmen, welche als Qualitätstechniken innerhalb und ausserhalb der Praxisinstitution verbessert und vertieft werden. Die praxisinterne systematische Überprüfung ist nicht ausnahmslos abgedeckt. Neben der Grundausbildung der Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten ist die Weiterbildung verpflichtend und das Engagement in Qualitätszirkeln vorgesehen. Über die Umsetzung in der Praxis existieren keine Zahlen.
Selbstassessment
Die Selbstprüfung für freiberufliche Physiotherapeuten anhand des EFQM-Modells 2013 bedeutet, dass das Assessment entlang des gesamten Behandlungsprozesses durchgeführt wird. Dieser Anspruch kann, Modellkenntnis vorausgesetzt, bereits heute in allen Praxisinstitutionen angewendet werden. Mit dem Assessment nach dem EFQM Modell 2013 werden sämtliche Aktivitäten und deren Ergebnisse analysiert und bezüglich Stärken und Verbesserungspotenzial beurteilt. Das EFQM-Modell 2013 (EFQM, EFQM-Modell 2013, 2012) beinhaltet 9 Teilkriterien, die sich wie folgt zusammensetzen.
5 «Befähiger-Kriterien»
- Führung
- Strategie
- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
- Partner & Ressourcen
- Produkte, Prozesse & Dienstleistungen
4 «Ergebniskriterien»
- Kundenbezogene Ergebnisse
- Mitarbeiterbezogene Ergebnisse
- Gesellschaftsbezogene Ergebnisse
- Schlüsselergebnisse
Potenzial integriertes Qualitätsmanagement- Modell
Hinterfragen sich Physiotherapeuten und ihre Praxisinstitutionen nach diesem Modell, treffen sie beim Management mit Partnern und Ressourcen auf zu wenig genutzte Synergien.
Führen Ärzte (Chirurgen, Orthopäden, Hausärzte) und Medizintechnik ihrerseits ein EFQM-Assessment durch, ergibt sich ein ähnliches Bild. Somit kann zur Verständnisförderung innerhalb der verschiedenen Anspruchsgruppen, welche als Kundenfokus den Patienten als Zielgruppe haben, EFQM-2013 als Motor für nachhaltige Unternehmensentwicklung und für die Weiterentwicklung des Gesundheitssystems angewendet werden. Für das Praxisbeispiel Physiotherapie ist die Strategie des Bundes mit «Gesundheit2020 » an neue Handlungsfelder gebunden.
Qualitätszirkel
- Praxisinterne Qualitätszirkel
- Praxisexterne Qualitätszirkel
- Interdisziplinäre Qualitätszirkel zwischen verschiedenen Leistungserbringenden
Qualitätszirkel in der Physiotherapie sind heute nicht flächendeckend aktiv. Die Streubreite der für den Patienten wahrnehmbaren Qualität in der Physiotherapie besteht. Insbesondere der Dialog zwischen den an den Behandlungspfaden Beteiligten sowohl in der stationären wie auch ambulanten Grundversorgung sollte zum Nutzen der Patientinnen und Patienten gewährleistet sein. Investitionen in das Potenzial und die Wertigkeit der freiberuflichen Physiotherapeuten verursachen keine zusätzlichen Kosten. Qualitätsprojekte und eine neue Form von Qualitätszirkeln sind gefragt, die gezielt die Schnittstellen in der Patientenbehandlung erfassen und weiterentwickeln. Schnittstellenmanagement bedarf einer hohen Kompetenz der Praxisinstitutionen und deren Führung. Die Abstimmung des Qualitätsund Risikomanagements in der Patientenbehandlung ist für die Weiterentwicklung des schweizerischen Gesundheitssystems und der Physiotherapie sinnvoll. Qualitätszirkel und Round-Tables zwischen Physiotherapie, Medizintechnik, Chirurgen, Orthopäden und Hausärzten sowie weiteren Interessierten sind zu fördern:
Pilotprojekt 1
Schnittstellen und Qualität im Gesundheitssystem evaluieren und zielgerichtet managen
Pilotprojekt 2
Wissen gezielt managen im klinischen Denk-, Handlungs- und Entscheidungsprozess
- Round-Table
- Qualitätszirkel fachdisziplinenübergreifend
Pilotprojekt 3
- Assessment nach EFQM-2013 in der Physiotherapie-Praxisinstitution
Mit diesen Massnahmen ist ein weiterer Schritt zu einem umfassenden Partner- und Ressourcenmanagement möglich.