Ethik in der geriatrischen Langzeitpflege – lässt sich Ethik managen?
Moralische Fragestellungen fliessen in die tägliche Arbeitsroutine eines Pflegeheims ein. Doch die Alltagsroutine und die nicht unerhebliche Arbeitsbelastung lassen nur wenig Raum für intensive Reflexionen und die Suche nach tragfähigen Antworten. Eine erste Annäherung (Teil 1) an die quintessenzielle Frage: «Lässt sich Ethik managen?»
Qualitätsmanagement (QM) und Qualitätsmanagement- Systeme (QMS) sind auch wichtige Themen in der Altenpflege. Die kursierenden Ansätze und zertifizierbaren Modelle orientieren sich an den Normen der ISO- 9001er-Reihen, am Konzept der European Foundation of Quality Management (EFQM) oder an Vorgaben der Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen (KTQ). In Altenpflegeheimen sind Systeme nach ISO 9001 weit verbreitet, da diese Normenreihe die Möglichkeit bietet, alle Aufgabenbereiche des Betriebes auf Prozessebene abzubilden. Im Sinne einer «lernenden Organisation » müssen deshalb alle Prozesse und Dokumente einer regelmässigen Prüfung auf Korrektheit, Relevanz und Normkonformität unterzogen werden. Ferner tragen auch Audits dazu bei, mögliche Schwachstellen und Verbesserungspotenziale zu identifizieren.
Konflikte mit der Ethik
Organisierte Ethik und QM haben in einem Pflegeheim völlig verschiedene Funktionen, Perspektiven und Ansatzpunkte – dennoch sind beides wichtige Strategien, welche zukünftig an Bedeutung gewinnen werden.
Ein gut funktionierendes QMS beinhaltet klare Strukturen und nachvollziehbare, dokumentierte Handlungsabläufe ebenso wie Mechanismen zur Qualitätssicherung, -messung und -verbesserung. Hier kommt es nun nicht selten zum Konflikt mit den Abläufen und Ansprüchen einer organisierten Ethik: Während ein QMS auf einen effizienten Ablauf der Prozesse ausgerichtet ist, bedeuten ethische Diskurse und Interventionen zumeist eine Unterbrechung und Entschleunigung der Alltagsroutinen.
Auf der anderen Seite klagen Ethiker darüber, dass Ethik nur eine Etikette sei, die in der Phase einer QMZertifizierung oder zu Marketingzwecken betrieben wird, sonst aber eher ein bedeutungsloses, machtloses Dasein fristet.
Dabei ist zu beachten, dass Ethik nicht nur «Opfer» von Ignoranz sein muss, sondern für diese Misere durchaus auch mitverantwortlich sein kann. Das Misstrauen kann nämlich auch auf Gegenseitigkeit beruhen: Ethiker sehen die Implementierung in ein QMS zumeist kritisch, da die Manifestierung von Prozessen innerhalb der Ethikorganisationen als einengend empfunden wird. Die Werkzeuge des QMS rufen eine «bürokratische Skepsis» hervor.
Heinemann (2010) betont, dass neben einer allgemeinen Skepsis und Angst eine «organisatorische Naivität der Ethik» entstehen kann, welche das Potenzial einer Einbindung in ein Managementsystem unterschätzt. Hierbei wird seitens der Ethik nicht erkannt, dass sie die Sprache der Organisation lernen muss, um in der Organisation an Bedeutung gewinnen zu können. Denn schliesslich kann die Ethik auch vom QMS profitieren: Der Einsatz zertifizierter QM-Systeme ist ein Stück weit dafür mitverantwortlich, dass sich der institutionalisierte ethische Diskurs im Gesundheitswesen in den vergangenen Jahren stark entwickelt hat.
Die Zertifizierungen, allen voran nach den Systemen KTQ und «pro- Cum Cert (pCC) fragen ausdrücklich nach dem Vorhandensein einer Ethikorganisation und honorieren dies in der Bewertung. Dieser Umstand hat die Verbreitung der Ethikberatung weiter unterstützt und gefördert.
Offene Fragen
Es ist also durchaus lohnenswert, wenn nicht gar notwendig, die Verbindung der beiden «Paralleluniversen » genauer zu reflektieren. Aus praktischer Sicht stellen sich dabei die folgenden Fragen:
- Wie kann die Ethikorganisation in ein QM-Prozessmodell integriert und adäquat gewichtet werden?
- Wie können Abläufe innerhalb der Ethikorganisation standardisiert und strukturiert werden, ohne ihre notwendige Flexibilität zu verlieren?
- Welche Arbeitsinstrumente und Dokumente werden hierfür benötigt?
- Wie können Mitarbeitende an der Ethikorganisation partizipieren und welche Zugänge müssen zur Verfügung gestellt werden?
- Wie können Entscheidungen, Empfehlungen und ethische Richtlinien adressatengerecht, transparent und nachvollziehbar kommuniziert werden?
- Wie kann das QM dazu beitragen, die Leistungen der Ethikorganisation systematisch messbar zu machen und zu evaluieren?
In der Literatur finden sich kaum Beispiele, wie die Systeme «QM» und «Ethik» synchronisiert werden könnten, um gleichermassen erfolgreich zu funktionieren. Die Pflegezentren Mattenhof und Irchelpark der Stadt Zürich gehen mit einem guten Beispiel voran.
Hinweis: Teil 2 dieser Facharbeit befasst sich mit der täglichen, konkreten Umsetzung von Ethik und Qualitätsmanagement in der Praxis der Pflegezentren Mattenhof und Irchelpark.