Wie steigern Piloten ihre Resilienz?

Fliegen ist sehr komplex. Piloten müssen eine Vielzahl von Systemen überwachen, steuern und kurzfristig auf Veränderungen reagieren. Welche Bedeutung diese Fähigkeiten für die Arbeitssicherheit haben, untersuchte ein Student von der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW zusammen mit Swiss International Air Lines.

Wie steigern Piloten ihre Resilienz?

 

 

 

So vielseitig Aviatik-Berufe sind, erfordern sie ebenso viel Disziplin, Wissen, Konzentration und Finesse. Neben dem Handling der komplexen Technik gehört es zu den professionellen Aufgaben der Piloten, Ereignisse wie beispielsweise sicherheitsrelevante Wetterwechsel miteinzuplanen oder ad hoc darauf zu reagieren. Schliesslich lernt die Cockpit Crew aus extremen Erfahrungen für weitere Flüge.

 

Die Fliegerei vereint High Risk Berufe, die mit Ingenieuren, Medizinern oder Rettungsleuten gleichgestellt werden können. Christian Kunz, ein Student der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, zog für seine Masterarbeit im Bereich Angewandte Psychologie theoretische Konzepte des «Resilience Engineering» herbei, indem er die Wechselwirkung komplexer Technik und Pilotenprofile untersuchte.

 

«Resilience Engineering beschäftigt sich mit der Fähigkeit bei Systemen, auf erwartete und unerwartete Veränderungen oder kritische Ereignisse so reagieren zu können, dass das sichere Funktionieren aufrechterhalten, «idealerweise das System gar stärker wird», so der Arbeitspsychologe. Allerdings, wie entwickelt man eine kontinuierliche «Resilienz» in einem dynamischen Umfeld?

Ist Resilienz messbar?
Inzwischen spricht man von vier Grundfähigkeiten von Resilienz:
1.Antizipation
2. Überwachung
3. Reaktion
4. Lernen

 

Eines der zentralen Anliegen der Resilienzforschung ist es, dass die Menschen bei der Arbeit respektive im organisationalen Kontext gesund sowie leistungsfähig sind und bleiben.

 

Für die Masterthesis konnte Christian Kunz die Swiss International Air Lines gewinnen. Einerseiner Kontakte, Thomas Bolli, selber Pilot und Head of Safety von Swiss International Air Lines. «Resilienz im Cockpit besteht darin, die unterschiedlichen Erfahrungen, Skills und Wahrnehmungen der Crewmitglieder in optimaler Weise zusammenwirken zu lassen. Dies bedingt eine Arbeitsatmosphäre, die Lösungsansätze von senioritätsjüngeren Kollegen zulässt und fördert

 

Die Messbarkeit und Analyse der vier Grundfähigkeiten waren wichtigste Kriterien in Christian Kunz’ Thesis. Letztendlich war es ebenso eine Frage der Definition, was wirklich unter den theoretischen Grundfähigkeiten subsummiert wird. Hierbei stützt sich Kunz auf weitere Begriffe der Arbeitspsychologie, insbesondereauf sogenannte «Detailfähigkeiten oder Einstellungen».

 

Kunz: «Für die Messung von Fähigkeiten gibt es diverse sozialwissenschaftliche Methoden», die jeweils Vor- und Nachteile in Bezug auf den angezielten Erkenntnisgewinn mitbringen würden. Der FHNW-Student unterstreicht: «Inwiefern letztendlich zuverlässige und valide Messergebnisse erzielt werden, ist also grösstenteils eine messtheoretische und statistische Problemstellung.»

 

In der Literatur sind die vier Grundfähigkeiten von Resilienz als theoretisches Gerüst postuliert. Sie sind jedoch für eine detaillierte Messung viel zu grob und müssen zunächst messbar gemacht werden. Neuste Erkenntnisse der Arbeits- und Organisations-Psychologie bilden deshalb das Tüpfchen auf dem i.

Sicherheit im Cockpit
Systeme und Einheiten im Hochrisikobereich – die auch die Luftfahrtindustrie vielerorts verwendet und einsetzt – müssen sicher funktionieren. Werkzeuge, Menschen und weitere Elemente müssen möglichst auf eine jeweilige alltägliche Situation eingestellt oder angeglichen werden.

 

Werdende Forscher wie Christian Kunz stellen früher oder später jedoch fest: «Besonders Menschen zählen mit ihrer Fehleranfälligkeit zu einem stetigen Risiko.» Darüber hinaus zeigt die Arbeitspsychologie, dass die Fähigkeit von Menschen, als Individuen und Organisationen zu interagieren, auch viele Potenziale birgt, Veränderung und Störungen proaktiv zu erkennen und zu beheben.

 

Thomas Bolli, Head of Safety von Swiss:
«Die Resilienzforschung hilft uns das systemische Zusammenspiel von Mensch und Maschine im komplexen Umfeld besser zu verstehen, zu optimieren und damit einen Beitrag an die Flugsicherheit zu leisten.» Das 4-P-Modell für Cockpit-Operationen (A. Degani, E.L. Wiener, NASA) beschreibt die Wechselwirkung zwischen Operationsphilosophie, Policies, Procedures und der effektiven Praxis. Beim Fehlen von Procedures in einer ausserordentlichen Situation müsste der Pilot beispielsweise fähig sein, aufgrund von übergeordneten Policies oder gar der generellen Operationsphilosophie (z.B. «Safety first») eine sichere und zielführende Lösung zu finden.

 

Mithilfe von Gruppen- und Einzelinterviews entwickelte Kunz für jede Resilienz-Grundfähigkeit Indikatoren, etwa welche Verhaltensweisen Rückschlüsse auf die Resilienz im Cockpit bieten. «Beispielsweise», so Kunz, « gibt es bei der Antizipations-Definition eine kritische Reflexion der eigenen Einschätzungen und Annahmen eines Piloten. Dieser müsste beispielsweise sagen können, wie der Flug verlaufen wird.»

Rückschlüsse
Die Modelle mit den vier Grundfähigkeiten und den Indikatoren zeigen im Detail auf, wie Piloten während eines Fluges zur «Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit (Resilienz) des Systems Flugzeug» konkret beitragen. Welche Rückschlüsse mithilfe des «Questionnaires» (engl. Fragebogen) von Christan Kunz optimieren nun die Sicherheit im Cockpit?

 

Einige wichtige Einblicke der Resilienz-Untersuchung:

  1. )Wichtig sind insbesondere zwei
    Punkte: (1) Inwiefern trägt die
    Swiss Aus- und Weiterbildung
    zur Entwicklung der definierten Resilienz-Fähigkeiten bei?
    (2) Welche Fähigkeiten von Piloten müssen im System vorhanden sein, um sich flexibel
    an Veränderungen (Risiken)
    während eines Fluges anpassen
    zu können?
  2. )Die Erhebung (Messung) zeigt,
    inwiefern die jeweiligen Fähigkeiten differenziert sind und sich
    über die Zeit verändern. Weiter
    werden berufliche Unterschiede
    (z.B. zwischen Kapitänen und
    Co-Piloten, zwischen Lang- und
    Kurzstrecken-Piloten, Piloten mit
    unterschiedlichen Dienstjahren)
    registriert. Diese Daten geben
    Hinweise in Bezug auf Stressund Belastungen im Cockpit/
    Flugzeug.

 

Mit Modellen können komplexe Sachverhalten in vereinfachter Form dargestellt werden. Wirkmechanismen und Zusammenhänge können damit wesentlich nachvollziehbarer veranschaulicht werden. Einen mindestens ebenso grossen Nutzen solcher Modelle sieht auch der Head of Safety von Swiss International Airlines in der Diskussion von Erkenntnissen. Dies erhöhe die allgemeine Verständlichkeit.

 

«Wichtig ist die Kenntnis, dass man eintretende Schäden als reaktiven Prozess, losgelöst von Schuldfragen oder persönlichen Vorwürfen, abhandelt. Aus vorliegenden Schäden sollte man emotionslos lernen, diese auch in Zukunft ohne persönliche Gründe berücksichtigen», meint der ehemalige Ausbildner und Swiss-Verantwortliche. «Der Mensch ist und bleibt nicht

 

nur ein Risikofaktor, sondern auch eine entscheidende Sicherheitsressource», unterstreicht Kunz. «Welche konkreten Fähigkeiten schlussendlich zur Sicherheit beitragen, ist der springende Punkt. Ein Pilot sollte nicht nur selbstkritisch sein, er sollte auch noch in Extremsituationen optimistisch sein.»

 

Kritische Fähigkeiten
Kunz gesteht jedoch, dass seine Thesis nicht durchgehend im Betrieb der Swiss International Air Lines Anwendung findet: «Der Fragebogen kann nicht einfach auf andere Swiss-Mitarbeitende (z.B. die Cabin Crew) übertragen werden. Dafür müssten erst Voruntersuchungen mittels Interviews, einer Indikatorenentwicklung und einer neuen Modellbildung durchgeführt werden.»

 

Der Flugbetrieb ist als ein fortlaufender und sicherheitsförderlicher Prozess zu verstehen, der durch Menschen, Technik und diverse Umweltebenen dominiert wird. Dieses Wechselspiel wurde in den letzten Jahrzehnten – neben den vielen Verbesserungen – aufgrund der steigenden Entwicklung zunehmend komplexer. Daher birgt es viele, teils neue Risiken.

 

«Störungen sind heutzutage kaum mehr technisch bedingt, es geht eher um menschliche und organisationale Faktoren sowie Umwelteinflüsse», meint Thomas Bolli. Wenn Menschen im Spiel sind, bekomme die Resilienz noch einmal eine ganz andere Dimension – «Immer mehr Sitze in einer Maschine, unvorhergesehene Wartezeiten, Flug- oder Terrorangst, intensivere Wetterphänomene etc. können zu Stressreaktionen führen, welche die Resilienz der Crew auf die Probe stellen.»

 

Hier übe sich die Swiss Crew in psychologisch nachvollziehbaren Umgangsformen. Resilienz sei bei der Swiss in erster Linie eine Bewusstmachungsmassnahme. Wenn es um die Sicherheit im Cockpit geht, werde zuerst der Flugzweck (Purpose) verdeutlicht, erst dann berücksichtige man die eigentlichen Ressourcen unter dem Grundsatz:

 

«Safety first». Hierbei spielen Einschätzungen der Crewmitglieder die wichtigste Rolle.

 

Der Student der Fachhochschule ist überzeugt: «Grundsätzlich hat die Swiss jetzt die Möglichkeit, mein Messinstrument im Sinne eines Trendmonitorings einzusetzen. Hierdurch könnte eine kritische Entwicklung sehr früh (optimalerweise vor Eintreten eines Safety-Risikos) entdeckt, beurteilt und entsprechende Verfahren eingeleitet werden.

 

Die Masterarbeit «Resilienz von Piloten im Cockpit bei SWISS» von Christian Kunz wurde begleitet durch Prof. Dr. Toni Wäfler, Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW

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