Die Belegschaft soll sich mehr bewegen…

Seit einiger Zeit betreibt das Unternehmen, in dem Hannes in der Geschäftsleitung sitzt, ein sogenanntes Case- und Gesundheitsmanagement. Durch gezielte Massnahmen wurden in aller Ernsthaftigkeit und Konsequenz Krankheitstage reduziert. Sehr professionell wurde das von Anfang an durchgezogen und alle Vorgesetzten spielten mit. Ein Erfolgsrezept. Erfolg macht hungrig auf mehr. Was im Grossen funktioniert, soll nun auch im Kleinen seinen Niederschlag finden.

Der Auftrag an Hannes, den Spezialisten für akribische Detailarbeit, ist «durch gezielte, kleine und kleinste Massnahmen das Potenzial im Alltag auszuschöpfen, damit die Mitarbeitenden einen aktiven Beitrag für die eigene und im übertragenen Sinn auch für die Gesundheit des Unternehmens leisten». Darum gehts schliesslich. Jahresziel ist, eine Rendite zu erwirtschaften, nicht, eine Wellnessoase zu betreiben. Die Rahmenbedingungen sind wie immer: Es darf nichts kosten, muss aber viel bewirken. Darin ist Hannes unterdessen routiniert: eine trockene Zitrone so auszupressen, dass nochmals «was Saures» rauskommt. «Im konkreten Fall bedeutet es das, was wir sowieso tun – so zu tun, dass es auch gesund ist», überlegt Hannes. «Gesund» heisst in diesem Projekt wiederum «Prävention durch mehr Bewegung». Denn wer sich körperlich mehr bewegt, ist gesünder, wird weniger schnell krank, steht dem Unternehmen länger zur Verfügung und ist, so sagt die Wissenschaft, auch geistig beweglicher. Das ist nötig heute, wo man nie weiss, wer morgen der Chef ist, wo übermorgen das eigene Büro steht und warum man nächste Woche im Fernen Osten arbeiten wird.

 

Hannes ist wieder am «pebrasto», so nennt er sein persönliches Brainstorming. Er hat bereits einen Besprechungstermin mit dem Lifthersteller. Er will den Aufzug so langsam programmieren lassen, dass Gehen alleweil schneller ist, als die komfortablere, aber gesundheitlich weniger einträgliche Variante zu nutzen, nämlich den Lift. Denn die Kleber, die dazu animieren, für ein bis zwei Stockwerke freiwillig die Treppe zu nehmen, werden kaum beachtet und schon gar nicht befolgt. Solange alle im Unternehmen den Begriff Effizienz subkutan unter die Haut geimpft bekommen, funktioniert der Wechsel zur Treppe nur über das Anreizsystem der Geschwindigkeit.

 

Die Kaffeemaschinen, die auf jedem Stockwerk stehen, werden ebenfalls umprogrammiert. Mit dem persönlichen Badge, auf den das Kaffeebudget geladen ist, können nur noch Getränke auf dem jeweils oberen Stockwerk herausgelassen werden. Wer also auf der ersten Etage arbeitet, muss zwingend in die zweite Etage gehen

 

«Hannes ist überzeugt: Die Gesundheit muss in den natürlichen Arbeitsablauf eingebaut werden.»

 

ohne Lift notabene –, um sich den Kaffee zu holen. Hannes schmunzelt ob dieser genialen Idee.

 

Ähnliches macht Sinn bei den Regalen. Je häufiger ein Ordner gebraucht wird, desto weiter weg wird er eingeräumt: Entweder ganz oben oder ganz unten im Regal. «Bücken und Strecken» geht in einem Aufwisch mit «Akten suchen». «Die Gesundheit muss in den natürlichen Arbeitsablauf eingebaut werden», ist Hannes überzeugt.

 

Hannes wird sich wieder einmal bewusst, wie wirksam Detaillösungen sein können. Nun gut, sein Antrag, sämtliche Dienstwagen VW Golf und VW Passat durch Geländewagen zu ersetzen, die man besteigen muss, wurde aus oeokologischen und imagetechnischen Gründen abgeschmettert. Aber was solls. Seine Ideen sind noch nicht ausgereizt. Die Parkplätze sind ab sofort nicht mehr vor dem eigenen Unternehmen. Sie wurden mit den Parkplätzen der Nachbarfirma getauscht. Wer sein Auto parkiert, muss noch mindestens 300 Meter zu Fuss gehen. Stramme Waden und ein stärkeres Herz gibts gratis dazu

 

Apropos Muckis an den Beinen: Ein Schild in der Toilette macht auf eine sehr effiziente Massnahme aufmerksam. Immer mehr Leute putzen sich auch tagsüber mal die Zähne. Ein Schild ermuntert, dies in der sogenannten Abfahrtshocke zu tun. Zwei Minuten in der Hocke bleiben, während man die Zähne schrubbt – das kommt schon fast einem Skiläufer an der Lauberhorn-Strecke gleich. Es schmerzt anfänglich, dann aber kommen die satten Oberschenkel. Und das ist auf jeden Fall gesund.

 

Hannes ist stolz. Gleich darf er den Massnahmenkatalog der Geschäftsleitung präsentieren. Vorher sollen aber alle das Dokument durchlesen. Bevor er den Button «senden» im E-Mail-Postausgang anklickt, bedenkt er, dass er den Katalog allen persönlich vorbeibringen könnte – natürlich zu Fuss. Dann kann er sich noch einen Kaffee holen, die Zähne putzen – aber die Sitzung beginnt schon in zehn Minuten. Also, auf den Button gedrückt – wie gesund das auch immer sein mag.

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