«Health Conflicts, Episode I» – oder die Feedback-Kultur als Bedrohung

Feedback-Kultur im Gesundheitswesen im dritten Jahrtausend: Eher Selbstverständlichkeit, eher Sciencefiction? Ein realistischer Blick in die Kristallkugel.

«Health Conflicts, Episode I» – oder die Feedback-Kultur als Bedrohung

 

 

 

Mittwochmorgen im Spital Feedikon, Kanton Backwil. Im Besprechungsraum sitzen leitende Angestellte: Herr A. D. Müller, CEO, MBA HSG; Pflegedienstleiterin Frau Brändli, Msc; Leitende Ärztin Frau Dr. HoffmannFeckenstedt; Professor Langholz, Chefarzt; Herr Quehl, Qualitätsmanager (QM). Die Spitalverantwortlichen sitzen vor ihren Tablets. In der Nacht davor wurden Rankings auf der Online-Plattform «Kunuparis» publiziert. «Kunuparis» verknüpft Zufriedenheitsdaten von Gesundheitsgästen und Mitarbeitenden (sowohl Festangestellte als auch geleaste) und erstellt daraus einen Health-Business-Kurswert für Institutionen des Schweizer Gesundheitswesens.

 

Während Konkurrenz-Anbieter wie «SkypingDoctors» und die «EBikingNurses» wieder einmal steigende Kursgewinne verzeichnen konnten, brach der Kurs des Spitals Feedikon, Kt. Backwil, abermals ein und lag nun seit ein paar Stunden im unteren Drittel des Rankings. – «Ein Desaster! Wir müssen dringend etwas unternehmen!» eröffnet CEO Müller energisch die Besprechung.

 

«Also, ich kann mir diese Werte einfach nicht erklären, wo wir doch so viel für unsere Mitarbeitenden tun und so viel in den Ausbau unserer Privatstation investiert haben» skandiert Frau Dr. Hoffmann-Feckenstedt in der ihr eigenen, norddeutsch fokussierten Art. – «Früher war es ein Desaster, wenn ich am Morgen auf die Station kam und wir über Nacht den Verdacht auf Ausbruch des Noro-Virus hatten. Heute ist es ein Desaster, wenn über Nacht unsere Umfragewerte einbrechen», stellt Professor Langholz konsterniert fest.

 

»Herr Quehl, Sie kennen sich doch mit Umfragen und Messungen am besten aus, haben Sie eine Idee, was wir unternehmen können?» PDL Frau Brändli richtet ihren Blick auf QM Quehl. Ihre pragmatische, lösungsorientierte Art tut wieder einmal gut. Natürlich hat Herr Quehl eine Idee. Quehl: «Ich denke, dass wir unsere Feedback-Kultur einmal unter die Lupe nehmen sollten. Womöglich haben wir ein paar blinde Flecken, die wir nicht bemerken, und gutes Feedback wäre dazu der Schlüssel.»

«Feedback-Kultur?
Was genau meinen Sie damit, Herr Quehl?» «Eine gute Frage, Frau Dr. Hoffmann-Feckenstedt. Das ist ein umfassendes Thema: Es geht um Rückmeldungen unserer Gesundheitsgäste, um Feedback von und unter den Mitarbeitenden und um das, was Angehörige, Zuweiser, Nachbehandler und ambulante Dienste von uns denken und über uns sagen.»

 

Prof. Langholz: «Das scheint mir eine komplexe Angelegenheit.» «Sehr richtig», bestätigt QM Quehl, «diese Kultur versteht sich wie Scrabble: Fängt man erst einmal an, ergibt sich aus dem einen Thema das Nächste. Da sind wir schnell bei Vertrauen, offener Kommunikationskultur, lernender Organisation, Fehlerkultur und Transparenz.»

 

«Herr Quehl, wie genau können wir denn unsere Feedback-Kultur angehen?», fragt CEO Müller. «Es gibt da so ein neues Gerät von der Firma «HappyInHealth». Einen «Feedback-Tomographen (FBT abgekürzt). Der soll eindeutige Ergebnisse liefern, er umfasst eine gute Auflösung und kaum altmodische Artefakte. Die zugehörige App beinhaltet einen Mikrosensor und wird einfach auf alle mobilen Geräte und PCs geladen. Es ist auch eine Installation auf allen medizinischen Geräten, an OP – Leuchten und Kaffeemaschinen möglich.» – «Was meinen Sie dazu?», wendet sich Herr Müller in die Runde.

 

Frau Dr. Hoffmann-Feckenstedt muss gerade eine Schnittwunde auf der Notfallstation via Tablet begutachten. Professor Langholz fragt sich, ob die App auch auf seine Forschungsdaten Zugriff nehmen würde? Frau Brändlis Augen leuchten hingegen. CEO Müller entscheidet sich: «Gut, dann testen wir das Gerät. Wir starten auf der chirurgischen Abteilung und im OP kommende Woche.»

Neonpinke Signale Montag:
Im OP. Kurzfristige Planänderung: Statt Meniskus muss notfallmässig eine Oberschenkelhalsfraktur operiert werden. Der Oberarzt tritt vor das Knie der narkotisierten Patientin. Der Assistent fragt unsicher: «Ich dachte, das hier ist der Notfall – Oberschenkelhals? Oberarzt: «Ach, Sie wissen wohl immer alles besser? Sie waren sicher auch einer von denen, die in der Vorlesung immer in der ersten Reihe sassen?!» Die OP-Lampe flackert neonpink auf! Alle zucken zusammen, eine sanfte weibliche Computerstimme ertönt aus dem FBT: «Feedbackregel Nr. 1: Vorgesetzte unterschätzen die einschüchternde Wirkung ihrer spontanen Bemerkungen. Die richtige Antwort wäre «DANKE». STATEMENT 1: Der Verzicht auf klares Feedback könnte eine Strategie sein, um sich Einfluss zu sichern.»

Dienstag: Im Stationsbüro.
Zwei Pflegerinnen machen Kaffeepause. «Jetzt hat mich die Stationsleitung schon wieder ein ganzes Wochenende lang zum Dienst eingeplant. Sie weiss doch, dass ich am Wochenende niemanden habe, der sich um meine Kinder kümmert.» – «Mir hat sie gestern mitgeteilt, dass ich meine Sommerferien bis Ende dieser Woche eintragen muss. Dabei kann ich jetzt noch gar nicht planen, weil ich nicht weiss, wann mein Mann Ferien machen kann.» – «Das ist wieder mal typisch für unsere Stationsleitung. Sie hat nur ihre Karriere im Kopf, sie lebt doch nur fürs Spital. Dass wir auch noch Familie zu Hause haben, interessiert sie nicht die Bohne!»

 

Es blinkt prompt neonpink am Kaffeeautomaten. Eine Stimme des FBT ist zu hören. «Feedbackregel Nr. 2: Lästern ist keine gute Art, um Druck abzubauen. Konflikte sollten direkt miteinander gelöst werden. STATEMENT 2: Vermeiden sie Vermutungen und Interpretationen. Bitte negative Annahmen über andere weglassen; gehen Sie stattdessen von POSITIVEN ABSICHTEN oder MISSVERSTÄNDNISSEN aus!».

Mittwoch:
Eine Stippvisite von Prof. Langholz im Patientenzimmer. «Na, Herr Pueblo, was machen die Schmerzen?». Herr Pueblo: «Schon viel besser. Etwas ist jedoch ärgerlich. Jetzt habe ich schon zum zweiten Mal das falsche Mittagessen erhalten!». Der Professor brüsk: «Nun, das ist ärgerlich, leider habe ich nichts damit zu tun. Vielleicht informieren sie noch einmal die Pflege oder die Hotellerie. Da gibt es sicher jemanden, der sich um die Beschwerden unserer Gesundheitsgäste kümmert.» Der leitende Arzt verlässt das Zimmer. Neonpinkes Blinken erscheint am Visitentablet. «Feedbackregel Nr. 3: Die Kunden geben wichtiges Feedback, das unbedingt gleich ernstzunehmen ist. STATEMENT 3: Rechtfertigungen oder SCHULDZUWEISUNGEN sind fehl am Platz. Es geht nicht darum, stets gut dazustehen, sondern dazuzulernen, die Organisation weiterzuentwickeln!»

 

Herr Pueblo (allein): «Und überhaupt, wieso reden die hier immer von Gesundheitsgästen? Ich bin doch Patient…vielleicht sollte ich das mal mitteilen. Aber wem und wie?»

Donnerstag:
Chirurgische Station, Medikamentenschrank. Die Fachangestellte Gesundheit (FaGe) hat versehentlich eine falsche Dosis des Blutdruckmittels für eine Patientin bereitgestellt. Zum Glück bemerkt es der verantwortliche Pflegefachmann, wechselt es aus – sagt jedoch nichts und murmelt vor sich hin: «Die jungen Leute von heute haben nur das Handy im Kopf, bei der Arbeit sind sie zerstreut wie Pusteblumen. Typisch Generation Z.» Plötzlich leuchtet es über der Klimaanlage, die FBT-Stimme ertönt: «Feedbackregel Nr. 4: Feedback geben ist Führungsaufgabe. Wer das nicht beachtet, führt nicht.Ohne Feedback ist der Fehler von heute der Standard von morgen. STATEMENT 4: Hier gilt die «F -Alliteration»: Fehler feiern, nicht vertuschen! Nur durch eine Fehleranerkennung entwickeln wir uns. Übrigens: Lob sollte öfters verbalisiert werden. UNDER STATEMENT 1: Verpasstes Lob = verpasste Gelegenheit!»

Freitag:
Im Office von CEO A. D. Müller. Am Telefon Frau Müller-Hoffenheim: «Hallo Darling, bitte denk daran, heute Abend sind wir bei den Nachbarn eingeladen.» – «Ach, das hatte ich ganz vergessen. Heute Abend habe ich die Sitzung mit dem Verwaltungsrat.» – «Schon wieder? Wann beginnst du endlich, auch private Termine in deine Agenda einzutragen? Freunde sollten uns auch wichtig sein.» – «Jetzt wird’ nicht gleich wieder so gereizt! Du weisst doch genau, dass ich Beruf und Privates zu trennen habe!» Herrn Müllers Bildschirm leuchtet neonpink. «Feedbackregel Nr. 5: Fühlen Sie sich nicht angegriffen, wenn Ihnen jemand Feedback gibt.

 

STATEMENT 5: UNDERSTATEMENT 2: Sie sollten zumindest über zeitliche Einteilungen und Ihre Ziele reflektieren, um gegenseitige Veränderungen zu bewirken.»

Schlussfolgerungen (erstes FBT-Protokoll)
Ob der Feedbacktomograph (FBT) bis zum Jahr 2026 im Schweizer Gesundheitswesen zugelassen sein wird und flächendeckend eingesetzt werden kann, ist unsicher. Schön wäre es jedoch, wenn so eine «Rückmeldung» im Gesundheitswesen selbstverständlich genutzt wird, um blinde Flecken zu erschliessen, Prozesse und Outcome zu optimieren, letztendlich Mitarbeitende wie Patienten – kurz gesagt: die Menschen – ins Zentrum zu stellen.

 

Viele gute Ansätze wie Befragungen von Patienten, Mitarbeitenden und Zuweisern gibt es bereits. Es gilt, diese Ansätze richtig abzustimmen, sie technisch dem Stand der Zeit anzupassen und vor allem die Ergebnisse transparent und sicher zu behandeln. Denn Feedback-Kultur funktioniert nur als Kreislauf: Wer rückkoppelt, will Veränderungen herbeiführen respektive wahrnehmen. Selbstverständlich genügt es nicht, einfach Fragebögen zu verteilen. Offenheit, Transparenz, letztendlich Vorleben sind – auf allen Hierarchiestufen, in allen Professionen, im Berufsalltag wie in der Ausbildung – das A und O.

(Visited 113 times, 1 visits today)

Weitere Artikel zum Thema