Innovation führt Funkenerosion ins Industrie 4.0-Zeitalter

Das Funkenerodieren ist ein hochpräziser, gleichwohl aber wenig bekannter Fertigungsprozess. Dank neuer Entwicklungen in der Prozessmesstechnik kann der Vorgang inskünftig noch besser gesteuert werden. Industrie 4.0 ist da bereits Realität.

Innovation führt Funkenerosion ins Industrie 4.0-Zeitalter

 

 

Beim Funkenerodieren (engl.: Electrical Dis­ charge Machining EDM) handelt es sich um ein abtragendes Fertigungsverfahren für leit­ fähige Materialien. Das Verfahren macht sich die Entladungen (Funken) zwischen einer Elektrode oder einem Draht (dem Erosions­ werkzeug) und einem elektrisch leitfähigen Werkstück zunutze. Jeder Funke trägt dabei  einen Teil eines Werkstücks ab, ein thermisch-elektrischer Prozess also. Das Verfahren ist für die Fahrzeugindustrie bis hin zur Informati­ onstechnologie gleichsam systemkritisch; Autos oder auch Smartphones könnten heute ohne Funkenerodierverfahren nicht wirt­ schaftlich hergestellt werden. Das Verfahren kommt dort zum Einsatz, wo andere Prozesse mechanischer Bearbeitung an ihre Grenzen stossen, etwa bei der Herstellung von sehr tie­ fen und schmalen Löchern oder Schlitzen in extrem harten Werkstoffen bzw. bei sehr komplexen Oberflächen.

Aufwendiges Verfahren
Mit Funkenerosion lassen sich Werkstücke bis in kleinste Dimensionen bearbeiten. «Mit jedem Funken kann ein bestimmter Punkt auf dem Werkstück abgetragen werden», erläutert Dipl. Ing. ETH Marco Boccadoro. Er ist Head of EDM Research and Innovation bei GF Machining Solutions in Losone (TI). Dieser Schweizer Maschinenbauer, eine Division des Maschinenbaukonzerns +GF+, spielt in Sachen EDM in der Top-Liga. Und Marco Boccadoro bestätigt, weshalb die EDM-Technologie nicht einfach zu beherrschen ist. Denn die Herausforderung beim Funkenerodieren liegt – wie bei vielen anderen industriellen Prozessen auch – in der Gewährleistung von gleichbleibender und reproduzierbarer Qualität. Nach wie vor ist EDM ein relativ langsames und aufwendiges Verfahren. Im Fall der Senkerosion muss jede Elektrode erst abgestimmt auf das Werkstück gefertigt werden. Wegen der hohen Energiedichte der Entladungen und der geringen Spaltweite zwischen den Elektroden ist der EDM-Prozess sehr komplex zu kontrollieren. Etwa 20 Parameter müssen in Echtzeit gesteuert werden, und dies übersteigt die Fähigkeiten eines menschlichen Bedieners. «Aus diesem Grund enthalten unsere Maschinen ein Expertensystem, eine Art gros­se Datenbank, die die optimier­ ten Einstellungen für die meisten Anwen­ dungen bietet. Für mehrere Bearbeitungsauf­ gaben, vor allem in Produktionsanwendun­ gen mit sich wiederholenden Aufgaben, gibt es aber viel Raum für Verbesserungen. Hier kann die künstliche Intelligenz helfen, indem sie eine Lernfähigkeit für die Maschine be­ reitstellt», erläutert Marco Boccadoro weiter. «Unsere Maschinen sind eigentlich zu 80 Pro­ zent reine Elektronik und Computer und von da her prädestiniert für Industrie 4.0.»

Messen und korrigieren im laufenden Prozess
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Industrie 4.0 ist die Anwendung von Sensoren, vor allem die Maschinenvision. Konkret geht es um das berührungslose Ausmessen von mittels EDM gebohrten Löchern oder von drahterodierten Konturen. Marco Boccadoro: «Wir haben ein System entwickelt, das mittels einer hochpräzisen Kamera, der sog. Integrated Vision Unit IVU, die Kontur eines Lochs inspiziert. Es geht also um eine optische Messung und die Protokollierung der Messwerte. Neu ist, dass die Informationen der Kamera mit der CNC rückgekoppelt sind und die Maschine daraus sofort Vorschläge für die Anpassung des Prozesses bzw. Korrekturen ableiten kann.» Das ist im Prinzip Industrie 4.0 in «Reinkultur»: Ein optisches Gerät, das digital rückgekoppelt ist; ein System also, das nicht nur misst, sondern aufgrund der Messresultate gleichsam «im selben Aufwasch» auch handelt. Die Konsequenz daraus: Geringere Mengen an Ausschuss, weniger Prozessunterbrüche und kürzere Anfahrzeiten. Dies erlaubt insbesondere eine noch wirtschaftlichere Produktion von komplexen Formen, beispielsweise von Matrizen und Stempeln für die Kunststoff- und die Werkzeugbauindustrie oder von Präzisionsinstrumenten für die Medizintechnik.

Funktionelle Oberflächen inspizieren
Ein anderer Einsatzbereich für dieses Messsystem liegt in der Inspektion von aus dem EDM-Prozess erzeugten Rauheiten und funktionellen Oberflächen. Eine funktionelle Oberfläche verfügt über Eigenschaften wie z. B. Selbstreinigungs-Effekte, die durch bestimmte molekulare Strukturen hervorgerufen wird. Solche Strukturen und vor allem Defekte darin lassen sich messtechnisch kaum erfassen, es sei denn über den Einsatz von äusserst kostspieligen Rauheits-Messgeräten. Im Rahmen eines von der KTI geförderten Forschungsprojektes arbeitet das Team rund um Marco Boccadoro in Zusammenarbeit mit der italienisch-schweizerischen Fachhochschule SUPSI und dem Institute for Artificial Intelligence IDSIA in Lugano an einem sog. «Surface Interpreter». Damit sollen während des laufenden Prozesses die Oberflächenqualität und -funktionalität sowie die Rauheit gemessen werden können, ebenso Defekte erkannt und korrigiert werden – und dies, ohne ein Werkstück aus der Maschine entfernen zu müssen. Zunutze machen sich die Entwickler hier u.a. Erfahrungen aus der Krebsforschung, wo mit ähnlichen Systemen und unter Verwendung von künstlicher Intelligenz Formen von Hautkrebs – also ebenfalls eine Art Defekt der Haut als ebenfalls funktionaler Oberfläche – bereits heute identifiziert werden können. Damit zeigt sich, dass dank der interdisziplinären Zusammenarbeit verschiedenster Wissenschaften Innovationen entstehen, welche Industrie- 4.0-Projekten zum Durchbruch verhelfen werden.

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