Hannes in der Auszeit
Es ist soweit: Hannes darf aufgrund der Dienstalter-Regelung drei Monate Auszeit nehmen. Früher war es üblich, darauf zu verzichten. Das war ursprünglich auch Hannes’ Plan gewesen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Früher galt als «unbelastbar», wer «einfachmal » drei Monate abtauchte, inzwischen avanciert er zum Trendsetter.
Der moderne Mann zieht sich zu-rück, macht sich rar und zeigt, dass er die Abteilung so gut orga-nisiert hat, dass es durchaus mal ohne ihn geht. In Weiterbildun-gen lernt man das schon lange und es ist wissenschaftlich bewie-sen, dass alle Beteiligten davon profitieren. Aber erst seit der neue CEO die Geschicke leitet, wird die Erkenntnis wirklich in der Praxis umgesetzt. Auch Hannes’ Chef ging vergangenes Jahr drei Mona-te in einen Bildungsurlaub nach Hawaii. Work-Life-Balance unter Palmen. Einmal mehr zeigt sich, dass ein gutes Vorbild durch nichts zu ersetzen ist.
Hannes räumt den Schreibtisch auf. Und zwar so, dass er drei Monate weggehen kann, sich aber nach dieser Zeit auch wie-der zurechtfindet. Alles versor-gen, aber nichts verstauen. Der Stellvertreter weiss Bescheid, wo er ihn zur Not erreichen kann. Hannes mochte denn doch nicht alle Geheimnisse aus der Kate-gorie «das-haben-wir-schon-im-mer-so-gemacht-ist-aber-nir-gends-aufgeschrieben» preisge-ben. Bei allem Vertrauen… man weiss ja nie, auf welche Ideen die Leute kommen, wenn seine Ab-wesenheit problemlos sein wür-de.
Der Findungsprozess, was er in den drei Monaten tun will, war nicht ohne. Einmal mehr hat Hannes dank seinem Organisati-onstalent ein raffiniert austarier-tes Auswahlverfahren zelebriert. Von der grundsätzlichen Definiti-on von «Bildung», «Erholung», «Zwischenbilanz im Leben zie-hen» bis zu «Zeit für sich zu ha-ben». Verknüpft mit einer in be-währter morphologischer Manier aufgelisteten SWOT-Analyse zu den gesammelten Dreimonats-Programmen kristallisierten sich die Favoriten heraus. Et voilà, nach mehreren Wochen akribi-scher Erkenntnissuche kam er zum Schluss: «Ich werde drei Mo-nate Hausmann». Dafür geht sei-ne Frau in den schon lange er-sehnten Mal-dich-frei-Workshop, der just drei Monate dauert. Dort will sie ihre künstlerischen Fähig-keiten vertiefen im Bereich «inne-res Seelenleben auf Papier brin-gen».
Hannes geht perfekt vorbereitet in diese Phase. Er hat bereits alle Menüpläne der nächsten drei Wo-chen aufgesetzt. Selbstverständ-lich auch optisch dargestellt samt der Verteilung der wichtigsten Vit-amine pro Mahlzeit und Woche, denn er will ausgeglichen kochen. Daraus entwickelte er ebenfalls den Einkaufplan für die ganze Pe-riode. Das hat ungeahnte Vorteile. Die Sonderangebote in den Kauf-häusern der Stadt und der Umge-bung können so gezielt genutzt werden. Allerdings nur, wenn es langfristig geplant wird, ansons-ten werden die Sparanstrengun-gen durch die Mehrarbeit wegen der Suche nach den besten Ange-boten wieder zunichte gemacht.
Seine Pausentermine sind im Mailsystem, das er sich zu Hause auch installiert hat, fixiert. Noch hat er nicht alle Pausenpartner kontaktieren können. Auf der Su-che nach Gesinnungsgenossen, fand er im Internet bereits drei Männer, die ebenfalls Hausmann machen. Ein wichtiger Kontakt ist die Nachbarin, die er für Notfälle aller Art immer in Bereitschaft halten möchte. Denn seine Frau in den Workshops anzurufen, geht absolut nicht. Sie hats verbo-ten. Ausserdem würde der stören-de Anruf wohl sofort auf einem der Bilder sichtbar. Und darauf will Hannes verzichten.
Ganz besonders stolz ist Hannes auf die neu eingerichtete Lager-bewirtschaftung. Seine jahrelan-ge Erfahrung als Führungskraft in einem Produktionsunternehmen kommen ihm einmal mehr zu-pass. Er hat bereits alle vorrätigen Lebensmittel im Computersys-tem erfasst. Alles ist abrufbar: nach Stichwortsuche, Ablaufda-tum, Vitamingehalt oder Lager-ort. Die Vorräte hat er in wochen-langer Arbeit mit einem Barcode-Label versehen. Mit dem auf e-bay erworbenen Scanner ist das System nun komplett. Vom ersten Hausarbeitstag an ist es möglich, dass sämtliche Lebensmittel, die aus dem Vorrat geholt werden, abgescannt werden können. Das System verbucht das Produkt im Ausgang und erstellt automatisch die Einkaufliste. Ein Kollege aus der IT hat das System so program-miert, dass die Einkaufsliste mit den manuell erfassten Sonderan-geboten abgeglichen wird. Falls es dort keine Übereinstimmung gibt, löst das System automatisch einen Bestellvorgang in einem vordefinierten Online-Kaufhaus aus. Damit gar nichts schief ge-hen kann, erhält Hannes zusätz-lich eine SMS-Nachricht mit den besten Angeboten etwa von fri-schen Teigwaren. Eine kurze Be-stätigung auf die vorprogram-mierte Nummer und schon wird die Ware vom Hauslieferdienst vor der Haustüre präsentiert.
Hannes fühlt sich richtig gut vor-bereitet. Die Auszeit soll ja ein Aus-gleich sein. Mal was anderes erle-ben, ohne gleich die geordneten Lebensbahnen über den Haufen zu werfen. Genau diese Prise Ver-trautheit macht Hannes Mut, dass er die drei Monate gut übersteht. Den Malkurs kann er dann immer noch nachholen, vielleicht gibt es ihn im Weiterbildungsangebot sei-nes Unternehmens ja mal …