Qualität zählt …
Eine Fachhochschule spielt Vorreiterin: Die BFH hat als einzige Hochschule in ganz Kontinentaleuropa die ISO-13485-Zertifizierung erlangt. Diese ist Voraussetzung für die Überwachung des gesamten Lebenszyklus eines Medizinprodukts.
«Aktiv, invasiv oder implantiert…?» Das sind Be-griffe der drei Klassen, die es bei Medizinpro-dukten zu unterscheiden gilt. «Wir wollen den gesamten Lebenszyklus (Life Cycle) begleiten könnnen, inklusive in-house Produktentwick-lung und Produktion», sagten sich Vertreter des Institute for Human Centered Engineering (Hu-CE) der Berner Fachhochschule (BFH). Denn es geht um die Sicherheit und Gesundheit von Pa-tientinnen und Patienten. Diese zu gewährleis-ten ist bei Medizinprodukten zwingend. Die Richtlinien sind streng, europaweit harmoni-siert und erfordern entsprechend eine fortlau-fende Qualitätskontrolle. Demzufolge ist ein zertifiziertes Qualitätsmanagementsystem es-senziell.
«Anwendungsorientierte» Forschung konkret
Für Hersteller von Medizinprodukten dürfte in diesem Zusammenhang die Norm ISO-13485 eine Selbstverständlichkeit sein. Aber für ein Bildungsinstitut wie die BFH? Wir fragten bei Prof. Dr. Marcel Jacomet, Leiter des HuCE, nach den wichtigsten Gründen für den Entschluss, diese Zertifizierung zu erlangen. Zunächst ver-weist Marcel Jacomet auf die Rolle der Fach-hochschulen: Ihre Aufgabe ist es bekanntlich, auf Hochschulniveau einerseits praktische Ausbildung und anderseits anwendungsorien-tierte Forschung zu betreiben. «Anwendungs-orientierte Forschung in Medizintechnik heisst für mich, das Institute for Human Centered En-gineering HuCE und die Berner Fachhoch-schule, die Nähe zu den KMU suchen und mit ihnen zusammen Forschung zu betreiben», so Jacomet. Wichtig sei es dabei, dass die Ingeni-eure und Ärzte am Institut nicht nur «am grü-nen Tisch forschen», sondern gemeinsam im Team mit Partnern aus Industrie und Spitälern medizinische Fragestellungen bearbeiten und technische Lösungsansätze entwickeln. «Am HuCE sind wir inbesondere daran interessiert, die gefundenen Lösungsansätze auch in Med-tech Devices umzusetzen, das heisst vom Pro-totypen-Design über die Verifikation bis hin zur Validierung», erläutert Prof. Jacomet wei-ter. «Somit war es für mich naheliegend, dem Begriff ‹anwendungsorientierte› Forschung auch Leben einzuhauchen, ein Qualitätsma-nagement einzuführen und damit das Institute HuCE nach ISO-13485 zertifizieren zu lassen.»
Komplexe Zertifizierung
Es folgte der – für eine Hochschule wohl ein-malige – Zertifizierungsprozess. Die Berner Fachhochschule darf sich nun loben, als erste Universität in ganz Kontinentaleuropa das ISO-13485-Zertifikat erlangt zu haben. Der Weg da-hin war nicht immer einfach, wie auch Marcel Jacomet zugibt. «Der Aufwand für die Einfüh-rung des Qualitätsmanagement-Systems war klar höher als erwartet. Dies ist nicht nur durch die zahlreichen zu definierenden Qualitäts-prozesse begründet, sondern es galt auch das Qualitätsbewusstsein der jungen Forscher in ihren täglichen Forschungs- und Entwick-lungsaufgaben zu schärfen.» Der Bereich «Me-dizinprodukte» allein schon ist komplex: Es gibt drei Produktklassen, je nach Wirkung auf den menschlichen Körper. Ein Stethoskop oder ein Rollstuhl haben ein niedriges Risikopoten-zial und werden der Gruppe 1 zugeordnet. Un-ter die 2. Klasse sind Produkte von mittlerem bis erhöhtem Risiko zu finden, etwa Kontakt-linsen, Hör- oder Röntgengeräte. Herzschritt-macher oder Knieprothesen werden dagegen in die 3. Klasse eingereiht. Diese Medizinpro-dukte verfügen demzufolge über das höchste Risikopotenzial. Was muss also für eine Zertifi-zierung genau nachgewiesen werden? Es geht da um verschiedene Schritte, wie Marcel Jaco-met erläutert: «Anhand eines ersten Medtech-Device-Projektes der Klasse 2a hat das Team am HuCE parallel zur Forschung die Feasibility Studie, Device Development und Device Veri-fication bereits abgeschlossen. Die Design Veri-fication ist weit fortgeschritten und auf gutem Weg, sodass noch in diesem Jahr eine erste Se-rie der Geräte in die geplante klinische Studie am Inselspital eingesetzt werden darf.»
Eigene Untergruppe geschaffen
Die Konformität des Qualitätsmanagement-systems zu beweisen, gestaltete sich – wie ge-sagt – aufwendig. Mussten am Institut also auch Anpassungen gemacht werden, um die Anforderungen zu erfüllen? Ja, sagt dazu Marcel Jacomet. «Das Institute for Human Cente-red Engineering HuCE betreibt angewandte Forschung und Entwicklung in sechs fachspe-zifischen Disziplinen mit Fokus auf Medtech-Anwendungen. Für die Einführung des Quali-tätsmanagements wäre es ein Overkill, unsere rund 70 Forscher am Institut einzubeziehen. So haben wir eine Untergruppe am Institute geschaffen, das HuCE-microCert, welches ge-mäss ISO-13485 zertifiziert ist und auch einen qualifizierten Medtech-Reinraum Klasse 7 be-treibt. Je nach Zielsetzung eines Medtech-Pro-jektes werden einzelne Forscher aus dem Ins-titute HuCE für die Projektdauer dem HuCE-microCert zugeordnet und entsprechend der Qualitätsnorm ausgebildet», führt der Insti-tutsleiter aus. Eine der Auflagen war es zudem, die HuCE-microCert-Forschungsgruppe und den Medtech-Reinraum örtlich getrennt von der Fachhochschul-Ausbildung zu betreiben, weshalb am Switzerland Innovation Park (SIP Biel) die entsprechende Fläche gemietet und die Räume – Büro, R&D, Reinraum – einge-richtet wurden.
Zugang zum europäischen Markt
Mit der erhaltenen Zertifizierung ist das HuCE ein wertvoller Forschungs- und Entwicklungs-partner für KMUs in der Medizinaltechnik. In-wieweit hat sich die Zertifizierung bereits wirt-schaftlich ausgewirkt? «Der Aufwand und damit die Kosten für den Entscheid, das Institut an der Berner Fachhochschule gemäss dem ISO-13485-Qualitätsstandard zertifizieren zu lassen, waren sekundär», sagt dazu Marcel Jacomet. Oberstes Ziel sei es, dem Grundsatz, anwen-dungsorientierte Forschung zu betreiben, auch Taten folgen zu lassen. Bereits haben sich schon erste Kooperationen mit Industrie und Spitäler konkretisiert, die ohne das Qualitätsmanage-mentsystem des HuCE oder den Reinraum kaum spruchreif geworden wären. Und da sich Bildungsinstitute gerade auch im Bereich der an-wendungsorientierten Forschung in einem Wettbewerb – auch international – befinden, kann sich die ISO-13485-Zertifizierung für die BFH als Vorteil auswirken. Denn sie ermöglicht einen erleichterten Zugang zum europäischen Markt. Und nicht zuletzt sieht sich das HuCE ver-stärkt als Partner für KMU: «In der angewandten Forschung ist es wichtig, die Bedürfnisse der KMU wirklich zu verstehen», weiss Marcel Jaco-met. «Dies beginnt sicher bei der klaren Um-schreibung einer Problemstellung aus der In-dustrie, aber richtig spannend wird es oft erst, wenn man auch die Konsequenzen und die ge-schaffenen Randbedingungen eines gefundenen Lösungsansatzes auf die Umsetzung einer Pro-duktidee versteht. Mit dem Einbezug der HuCE-Forscher, Ingenieure und Ärzte in die Medizin-technik, Entwicklungs- und Herstellungspro-zesse werden wertvolle Erfahrungen gemacht, welche die Attraktivität unserer Fachhochschul-Absolventen für die KMUs weiter erhöht.»