Die Sache mit den internen Kunden
Hannes’ Unternehmen hat sich für dieses Jahr die «Förderung der Un-ternehmenskultur» auf die Fahne geschrieben. Dazu wurden in ei-nem Kaderworkshop kurz vor Weihnachten in einem abgelegenen Berggasthof Quartalsmottos entwickelt und festgelegt. Daraus erge-ben sich pro Abteilung die Massnahmen, die umgesetzt werden müs-sen, sollten oder zumindest angedacht sind. Als Geschäftsleitungs-mitglied trägt Hannes diese Bemühungen natürlich nach vollsten Kräften mit.
Das Quartalsmotto
An der heutigen Sitzung der Geschäftsführung fiel der Startschuss für das neue Quartalsmotto. Man einigte sich auf den bereits vorformu-lierten Vorschlag «Jeder ist ein Kunde – auch der interne».
Für Hannes’ Abteilung – wie für alle anderen auch – bedeutet es, nun Massnahmen zu entwickeln und umzusetzen, mit denen die in-terne Kundenzufriedenheit gefördert wird. Seine Abteilung muss sensibilisiert werden, dass der Kollege aus der Personalabteilung nicht mehr ein «Kollege», sondern ein «Kunde» ist, dass man sich nicht mehr beim Kollegen im Produktmanagement «beklagen» darf, sondern ein «Verkaufsgespräch mit nutzenorientierten Argumenten und positi-ven Formulierungen» vorbereiten muss. Um diese Sensibilisierung zu unterstützen, soll der Stolz der Abteilung auch zu den anderen Abtei-lungen ausstrahlen. Dazu braucht es einen neuen Auftritt. Denn der «Kunde» soll wissen, dass man gerne für alle «Kunden» arbeitet.
Umsetzungsvorschläge Teil 1
Hannes widmet sich seiner Lieblingsbeschäftigung: Er schreibt ein Konzept. Nach der gewohnt zaghaften Anfangsphase gewinnt das Ela-borat an Substanz und Klarheit. Als erstes will Hannes seinen Mitarbei-tenden in einem Workshop eintrichtern, dass Telefonanrufe ab sofort nicht mehr bloss mit einem unverbindlichen «Hallo» oder salopp mit dem eigenen Namen entgegengenommen werden. Selbst wenn im Display der Name des Hausmeisters erscheint, gilt es «Herzlich will-kommen bei der Produktionsabteilung der Firma xx, mein Name ist Hans Muster, was kann ich Positives für Sie tun?» zu sagen. Immer.
In der Bekleidung muss ebenfalls ein Scheit nachgelegt werden. In der Produktionshalle ist klar, dass Mitarbeiter und Teamleiter in der Fabrikationskleidung arbeiten. Ab sofort soll zusätzlich ein knalli-ges Logo auf dem Rücken und auf der Brust ein Smiley mit dem Schriftzug «quality and fun – Ihre Produktionsabteilung» prangen. Dazu erhält jeder eine schicke Überzugsjacke für den Besuch der Be-triebskantine. Mit solch einem einheitlichen Look und leuchtenden Farben hebt sich die Produktionsabteilung von anderen ab. Um die Wirkung nach aussen zu erhöhen, geht niemand mehr alleine in die Mittagspause. Mindestens sechs Personen müssen es sein, die sich un-mittelbar hintereinander in die Reihe stellen und gemeinsam am Tisch sitzen. Das macht auch optisch einen starken Eindruck.
Zusätzlich soll ein Newsletter wöchentlich an die anderen Abtei-lungen gehen. Neben den neusten Zahlen aus der Produktion wird ihn jeweils eine Personality-Story über ein Hobby eines Mitarbeiters zieren. In schönem Layout, professionell von einem Journalisten geschrieben und einem Top-Fotografen in Szene gesetzt. Hier darf nicht gespart wer-den, es geht um einen harten, internen Markt. Wer die Konkurrenz ist, weiss Hannes zwar nicht, aber man soll sich immer so verhalten, als hätte man reihenweise Konkurrenten. Das kostet zwar Geld, tut aber gut.
Umsetzungsvorschläge Teil 2
Zu guter Letzt braucht die Abteilung ein schickes Logo. Hammer und Sichel ist besetzt – aber eine stilisierte Schubkarre passt. Sie symboli-siert Offenheit, Kraft, Bewegung und das «Anpacken». Genau das ist die Botschaft.
Hannes hat sich auch schon von einer externen Firma beraten lassen. Die hat ihm auf den Weg gegeben, dass es sich lohnt, regelmäs sige Kundenanlässe zu organisieren. Also will Hannes Produktionsbe-sichtigungen für alle internen Stellen abhalten, anschliessend eine kurze Feier, an der er sich nicht lumpen lassen will. «Customer Relati-onship Management» im betucht-dekadenten Sinn.
«Im ersten Moment wird ihm leicht mulmig – doch wer glänzen will, muss lackieren.»
Hannes sprüht vor Ideen. Er entwirft noch ein neues Design für eine Power-Point-Vorlage, ein einheitliches Wording für Reklamationen, legt fest, dass sich alle Mitarbeiter verpflichten müssen, nicht nur jeden Morgen zu duschen, sondern auch mit frisch gereinigtem Privatwagen vorzufahren, und beschliesst regelmässige Kundenzufriedenheitsum-fragen. Jede Woche werden sämtliche anderen Abteilungen telefonisch befragt, wie zufrieden sie mit der internen Dienstleistung sind.
Die Rentabilität zählt erst nächstes Jahr
Als studierter Betriebswirt weiss Hannes, dass das alles Geld kostet. Er zählt zusammen, rechnet hoch und kommt auf ordentlich sportliche Zahlen. Im ersten Moment wird ihm leicht mulmig – doch wer glän-zen will, muss lackieren. Wer intern den besten Eindruck schinden will, muss Geld in die Hand nehmen. Was der Mehrwert für das Un-ternehmen ist? Nun, diese Frage wird wohl nächstes Jahr aufs Tapet kommen. Für dann ist geplant auf das Motto «Wir tun nur das, was wichtig ist, dafür das richtig gut» zu setzen.