Risikokultur in KMU fördern
Risikomanagement ist in vielen grossen sowie zunehmend auch in kleinen und mittleren Unternehmen in der Strategie, den Strukturen und Geschäftsprozessen verankert. Die Ergebnisse einer Studie der Hochschule Luzern zeigen jedoch, dass gerade der Basis, der Risikokultur einer Organisation, noch zu wenig Beachtung zukommt.
Die Esstisch AG, ein Schweizer Möbelherstel- ler mit 120 Mitarbeitenden, führt ein moder- nes Risikomanagement. Eine Risikopolitik mit klar zugewiesenen Verantwortlichkeiten wur- de vom Verwaltungsrat diskutiert und verab- schiedet. Risiken aus dem internen und exter- nen Umfeld wurden identifiziert, analysiert und unter Berücksichtigung von Abhängigkei- ten bewertet. Die für das Unternehmen trag- baren Risiken überwacht der Risikomanager in Zusammenarbeit mit den Strategie- und Prozessverantwortlichen. Zusätzlich werden Massnahmen zur Reduzierung der Risiken de- finiert und der Geschäftsleitung berichtet.
Gleichwohl wird die Esstisch AG von un- vorhergesehenen Ereignissen auf dem fla- schen Fuss erwischt: Erst fiel die Finanzleite- rin aufgrund eines Unfalls für längere Zeit aus, dann kündigte einer der wichtigsten Kunden seine Zahlungsunfähigkeit an. Darüber hinaus konnte trotz intensiver Verhandlungen die Kooperation mit einem Onlinehändler nicht vertieft werden. In der Folge standen der Risi- komanagementverantwortliche sowie die ein- gesetzten Methoden und Instrumente in der Kritik, weil die aus den Vorfällen erfolgten Konsequenzen nicht antizipiert werden konn- ten.
Bis zu diesem Zeitpunkt wurde faktisch nur auf der obersten Führungsebene der Esstisch AG über Risiken (und Chancen) gesprochen. Aufgrund der starken Auslastung wurden auf operativer Ebene auch kaum Lehren aus früheren Vorfällen oder Beinahe-Vorfällen gezogen. So verzögerten sich die Zahlungen des Grosskunden bereits in der Vergangenheit. Zudem gingen die Führungspersonen nicht als Vorbild voraus, denn die angesprochene Kooperation scheiterte aufgrund eines Konflikts innerhalb der Geschäftsleitung. Letztlich wurden die empfohlenen Massnahmen des Risikomanagers nur als kostenverursachend angesehen, weshalb das Unternehmen auf umfassende Stellvertretungsregelungen verzichtete.
Was macht eine gute Risikokultur aus?
Das vorliegende fiktive, aber auf ähnlichen Praxisfällen beruhende Beispiel ist ein immer wieder zu beobachtendes Phänomen: Trotz systematischem Vorgehen im Risikomanagement treten Risiken ein, die das Unternehmen nicht im Blickfeld hat. In der Konsequenz wird der Nutzen des Risikomanagements angezweifelt und Ressourcen müssen künftig noch stärker gerechtfertigt werden. Oftmals liegt die Ursache dafür in einer mangelhaften Risikokultur.
Risikokultur kann als das hierarchieübergreifende, beobachtbare Verhalten einer ganzen Organisation in Bezug auf den Umgang mit Chancen und Risiken bezeichnet werden. Die formale Grundlage stellt die Risikopolitik dar, die sich mit den Grundsätzen des Risikomanagements auseinandersetzt. Als Teil der Unternehmenskultur wiederum umfasst die Risikokultur das gemeinsame Normen- und Wertegerüst der Mitarbeitenden. Darauf basiert deren Bereitschaft, Risiken zu erkennen, einzugehen und im Unternehmen zu kommunizieren. Weiter können folgende Faktoren als Voraussetzungen für eine gute Risikokultur genannt werden (vgl. Boutellier, Gabriel, Barodte & Montagne, 2007):
- eine offene und konstruktive Kommunika- tionskultur,
- ein ziel- und lösungsorientiertes Gruppen- klima,
- ein konstruktiver Umgang mit Konflikten, sodass sachliche Lösungen ermöglicht wer- den.
Dadurch lässt sich ein intensiver Informati- onsaustausch innerhalb der Organisation, ak- tives Lernen aus Fehlern oder das laufende Hinterfragen bestehender Vorgänge fördern. Mit dieser Grundlage werden schliesslich auch die umfassende Identifikation und das bewusste Eingehen von Risiken begünstigt.
KMU mit erheblichem Aufholbedarf
Im Rahmen einer Studie der Hochschule Luzern wurde die Risikokultur bei Schweizer Unternehmen vertieft untersucht. Es stellte sich heraus, dass nur eines von vier Unternehmen eine positive Risikokultur bewusst fördert. Für zwei Drittel steht die Risikokultur nur teilweise im Fokus, während zehn Prozent der Befragten der Risikokultur wenig oder gar keine Beachtung schenken (siehe Abb.).
Eine Branchenanalyse legt nahe, dass vor allem Finanzdienstleister und das Gesundheits- und Sozialwesen der Risikokultur eine erhöhte Aufmerksamkeit zukommen lassen. Werden die Ergebnisse überdies nach Grössenkategorien betrachtet, so bemühen sich kleinere und mittlere Unternehmen weniger um eine positive Risikokultur als grosse Unternehmen. Dementsprechend wird positive Risikokultur wohl auch nur am Rande als Grundlage für die Aktivitäten im Risikomanagement dienen.
Risikokultur als «Grundgerüst»
Eine positive Risikokultur, in der alle Mitarbeitenden einbezogen werden, verkörpert das Grundgerüst für ein nachhaltig funktionierendes Risikomanagement. Es stellt sich die Frage, welche Massnahmen KMU treffen können, um die Risikokultur und das -bewusstsein im Unternehmen zu stärken. Dafür bieten sich die drei Handlungsfelder Kommunikation, Führung & Strategie sowie Motivation an (vgl. Korte & Romeike, 2011).
Kommunikation
Weil Risikokultur keinen einmaligen Prozess darstellt, ist der permanente Informationsaustausch über alle Abteilungen und Hierarchiestufen hinweg zentral. Dabei muss den Mitarbeitenden immer wieder die Wichtigkeit des Risikomanagements, insbesondere die Sensitivität gegenüber Risiken, vermittelt werden. Gleichzeitig gilt es aber auch die Gewissheit zu vermitteln, dass Risiken mit Unsicherheit behaftet sind und sich trotz moderner Methoden nicht alle Szenarien genau antizipieren lassen. Es eignen sich verschiedene Mittel zur Kommunikation, wie z. B. Intranet- Mitteilungen, Vorschlagswesen, Mitarbeitenden- Zeitschrift oder das regelmässige Traktandieren an Informationsanlässen für die Mitarbeitenden.
Führung & Strategie
Die Führungskultur ist ein zentrales Handlungsfeld für die Ausgestaltung der Risikokultur. Dabei kommt der Geschäftsführung beim Vorleben einer positiven Risikokultur («Tone at the top») eine wichtige Funktion zu, was sich im Führungsstil widerspiegeln sollte. Da alle Mitarbeitenden einen Teil des unternehmensweiten Risikomanagements verkörpern, muss das einer positiven Risikokultur entsprechende Handeln in einer Organisation verinnerlicht werden (vgl. Hunziker & Meissner, 2017).
Daher sollen bereits bei der Festsetzung der Strategie die Chancen von Risiken adressiert werden. Mit diesem Vorgehen erkennen die Mitarbeitenden resp. die jeweilige Abteilung auch den wertschöpfenden Prozess von Risikomanagement, indem sich neue Opportunitäten eröffnen können. Zudem soll das Anreizsystem in einer Art und Weise ausgestaltet sein, dass sich die Vergütung am risikoangepassten Ergebnis orientiert. Hingegen muss das Eingehen von unerwünschten oder inakzeptablen Risiken, auch wenn daraus keine negativen Folgen für das Unternehmen entstehen, sanktioniert werden.
Motivation
Das dritte Handlungsfeld zur Integration einer adäquaten Risikokultur betrifft die Motivation der Mitarbeitenden. Es muss das Ziel jedes Unternehmens sein, ein internes Umfeld zu schaffen, in welchem sinnvolle und pragmatische Entscheidungen getroffen werden können. Wenn zusätzlich ein aktiver Einbezug in Bezug auf Chancen und Risiken sichergestellt wird, kann die Motivation der Mitarbeitenden erheblich gesteigert werden. Eine andere Möglichkeit bietet der Einbezug von risikorelevanten Aspekten in die Leistungsbeurteilung. Des Weiteren hilft es, Verantwortlichkeiten eindeutig festzulegen und angemessene Ausbildungs- und Trainingsprogramme zur Förderung der Fähigkeiten zu ganzheitlichem, interdisziplinären Denken und Handeln zu prüfen.
Fazit
Mit einer positiven Risikokultur im Unternehmen kann das Risikomanagement zu einem strategischen Wettbewerbsvorteil werden, indem bewusst Risiken eingegangen werden, um Chancenpotenziale auszuschöpfen. Auf diese Weise wird es zugleich möglich, das Image von Risikomanagement als reinen Kostenverursacher ohne entsprechenden Nutzen zu widerlegen. Die erwähnten Studienergebnisse belegen allerdings, dass vor allem bei KMU noch ein erheblicher Aufholbedarf in der Förderung der Risikokultur besteht. Anhand der drei Handlungsfelder Kommunikation, Führung & Strategie sowie Motivation eröffnet sich aber die Gelegenheit, eine positive Risikokultur besser in der Organisation zu verankern und damit einem ganzheitlichen Risikomanagement gerecht zu werden. Die Bereitschaft der Mitarbeitenden, Risiken im Rahmen der definierten Bandbreiten wahrzunehmen und im Unternehmen zu kommunizieren, ist dabei entscheidend.