Mitarbeiter beurteilen Vorgesetzte
Wie beurteilen Mitarbeiter den Führungsstil ihres Vorgesetzten? Was wünschen sie sich von ihm? Sind sie mit seiner Führung zufrieden, wie schätzen sie die Zusammenarbeit? Wenn Mitarbeiter bei einer Umfrage das Führungsverhalten beurteilen, heisst es für den Vorgesetzten, sich der Kritik zu stellen.
Inzwischen ist es selbstverständlich, dass Vorgesetzte von Mitarbeitern beurteilt wer-den, aber es macht nur Sinn, wenn sich nach dem Feedback auch eine Änderung bei den Beurteilten einstellt und nicht alles beim Al-ten bleibt. Während getestete Produkte nach-gebessert und weiterentwickelt werden, gibt es bei kritisierten Vorgesetzten keine margi-nalen Veränderungen im Verhalten. Mitar-beiter, denen die Führung nicht passt, kön-nen sich eher einen anderen Arbeitsplatz su-chen, als dass der Vorgesetzte dies tun wird.
Dabei ist Feedback eine wesentliche Hilfe für die eigene Standortbestimmung. Die meisten Vorgesetzten gehen davon aus, dass an ihrer Führung nicht viel auszusetzen ist. Sie sind nur an einer positiven Rückmeldung interessiert und ignorieren noch immer kriti-sche Wertungen. An einer Beurteilung neh-men noch nicht einmal alle Vorgesetzten teil.
Fragen und Skalierung
Fragen müssen kurz formuliert sein und soll-ten möglichst keinen Interpretationsspiel-raum zulassen. Fragebögen, die eine Bearbei-tungszeit von mehr als zehn Minuten erfor-dern, werden vom Mitarbeiter abgelehnt. Der Fragebogen sollte nicht mehr als zehn Fragen enthalten, die auf einer DIN-A4-Seite Platz finden. Die Auswertung wird erst aussage fähig, wenn viele Fragebögen abgegeben wer-den. Die Response-Quote sollte 80 Prozent er-reichen. In der Einführungsphase ist selten mit einer 100-prozentigen Teilnahme zu rechnen.
«Fragen müssen kurz formuliert sein und sollten keinen Interpre-tationsspielraum zulassen.»
Beurteilt werden sämtliche Themen, die mit dem Führungsverhalten zusammen-hängen, nicht nur die Themen, die der Vorge-setzte bevorzugt. Die leicht zu beantworten-den Fragen stehen am Anfang. Zusätzlich kann man hinter jeder Frage noch eine Ge-wichtung installieren, der Beurteiler kann zwischen den Zahlen 1 und 3 die Priorität und Bedeutung der Frage kennzeichnen. Alterna-tiv wird durch Ausrufezeichen gekennzeich-net, welche Themen für den Beurteiler be-sonders wichtig sind, und auch damit eine Gewichtung vorgenommen.
Bei der Skalierung gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die Notenskala 1 bis 5 ist nicht überall üblich. Häufig findet man die Punkte-skala 5 bis 1. Links steht immer der höchste, rechts der niedrigste Wert. Jede Skalierung sollte mindestens drei und höchstens fünf Stufen umfassen. Smileys haben sich nicht durchgesetzt. Aktuell ist derzeit die Skala nach Prozenten (Erfüllungsgrad).
Um mit der Befragung eine positive Imagewirkung zu erzielen, ist auch die Ge-staltung des Fragebogens von zentraler Be-deutung. Ein unprofessionell gestalteter, un-übersichtlicher und nicht chronologisch auf-gebauter Fragebogen motiviert nicht.
Auswertung als Herausforderung
Das eigentliche Problem ist die Auswertung. Jeder Vorgesetzte will gut dastehen vor der Geschäftsführung, die auch ein grosses Interesse an der Befragung hat. Bei negativen Beurteilungen fürchtet der Vorgesetzte Kritik vom obersten Chef. Für die Mitarbeiter ist es besonders wichtig, dass die Beurteilungen absolut anonym bleiben. Andernfalls erfolgt kein objektives Ankreuzen. Deswegen sind handgeschriebene Kommentare sinnlos, weil Vorgesetzte über die Schrift den Mitarbeiter identifizieren. Durch die Anzahl der Feedbackbögen kann man leicht feststellen, ob jemand fehlt, aber wegen der Anonymität bleibt unklar, um wen es sich handelt.
Mitarbeiter, die eine Betriebszugehörigkeit von unter sechs Monaten haben, werden nicht zur Teilnahme aufgefordert, ebenfalls solche, die bereits im gekündigten Zustand sind. Auch der neue Vorgesetzte in der Einarbeitungsphase wird von der Bewertung befreit. Liegen Anforderungsprofile für den Vorgesetzten vor, kann er sich auf die Beurteilung einstellen. Es sollten nur Themen zum Führungsverhalten aufgenommen werden, an denen sich Führungskräfte messen lassen müssen und die zu ihrem Profil gehören. Erfolgreiche Vorgesetzte zeigen Kritikfähigkeit, schliesslich verlangen sie dies auch von ihren Mitarbeitern. Wer in der Kritik seiner Mitarbeiter Verbesserungschancen sieht, hat begriffen, worauf es ankommt. Ziel ist es, Verbesserungen einzuleiten, andererseits kann das Team nicht erwarten, dass in kurzer Zeit alles im «grünen Bereich» ist. Änderungen verlangen Geduld und ein Zeitpolster.
Limiten und Grenzwerte
Es gibt keine Erfahrungen über Mindestwerte, über Grenzwerte bei der Beurteilung, die ein Vorgesetzter erreichen müsste, um nicht disqualifiziert zu werden wie im Fussball, wo der Trainer nach einer erfolglosen Saison entlassen wird. Ein Durchschnitt von 2,5 bei der Benotung sollte das Limit sein, um noch «an Bord zu bleiben». Der Vorgesetzte, der gute betriebswirtschaftliche Zahlen erreicht hat, wird sich weniger um die Beurteilung kümmern, Gewinne und Markterfolge sind wichtiger.
Eine Alternative für die systematische Beurteilung nach Noten ist eine «offene Beurteilungskultur ». Die Mitarbeiter haben den Mut, offen darüber zu sprechen, was gefällt und was missfällt. Die bisherige Beurteilung durch Multiple-Choice, und dazu noch anonym, entspricht nicht der Offenheit, die zur Unternehmenskultur gehört. Vorgesetzte beurteilen ihre Mitarbeiter in einem Gespräch, warum geht es nicht umgekehrt? Damit wären die alten Hierarchien ein Stück weit aufgebrochen.
Mögliche Beobachtungsfehler
Bewertungen sind für den Mitarbeiter ein Prozess der Wahrnehmung und verlangen gute Urteilsfähigkeit und Vergleichsmöglichkeiten über einen längeren Zeitraum. Dabei kommt es zu verschiedenen Fehlern. Vom «Überstrahlungseffekt» spricht man, wenn der Beurteiler von einem auffälligen Merkmal der Führung auf das Gesamtbild des Vorgesetzten schliesst. Eine einmalige Beobachtung von grosser Bedeutung überstrahlt alle anderen Wahrnehmungen. Vom «Aktualitätseffekt» spricht man, wenn die letzten Eindrücke vor der Abgabe des Feedbacks den Mitarbeiter stark beeinflussen und den Gesamteindruck übermässig prägen. Der «Sympathieeffekt» bedeutet, dass sympathische Vorgesetzte grosszügig und positiv beurteilt werden, an weniger sympathische werden dagegen höhere Erwartungen gestellt. Der «Hierarchie-Effekt» sagt, dass Personen mit viel Verantwortung, mit Titel und Status tendenziell aufgewertet werden. Wahrnehmungen werden dann beschönigt.
Der nachsichtige Beurteiler schaut schon mal grosszügig über Fehler hinweg, ihm geht es um Harmonie, er bewertet positiv. Strenge Beurteiler nehmen den Idealzustand der Führung als Massstab und erwarten eine perfekte Führung. Kritische Mitarbeiter erwarten eine sofortige Änderung der negativ angekreuzten Themen.
Praxistipps
Für Betriebe, welche eine Beurteilung der Vorgesetzten durch Mitarbeiter vorhaben, sind zusammenfassend folgende Tipps hilfreich:
- Geben Sie den Fragebogen an alle Mitarbei-ter mit mindestens 6 Monaten Zugehörig-keit und setzen Sie für die Rückgabe einen Termin (3 bis 5 Tage).
- Sorgen Sie unbedingt für Anonymität. Su-chen Sie bei schlechter Beurteilung nicht hinten herum nach dem Adressaten.
- Stellen Sie nur Fragen zur Zusammenar-beit, Delegation und Führungskompetenz.
- Bei negativer Response dürfen Sie keines-falls beleidigt reagieren. Für Sie ist Planung der Kurskorrektur angesagt.
- Werten Sie die Feedbackbögen zeitnah aus, am besten zwei bis drei Wochen nach Ab-gabetermin.
- Stellen Sie nicht mehr als zehn bis zwölf Fragen. Akzeptieren Sie auch Fragebögen, bei denen einige Fragen nicht beantwortet werden.