Der Lohn der Tüchtigen
Weshalb es empfehlenswert ist, die eigene Leistungsbereitschaft nicht gar zu sparsam zu portionieren, worauf diese Empfehlung beruht und was deren Befolgung einbringt.
D ie Selbstverständlichkeit, mit der heute Personal als Kostenfaktor gesehen und behandelt wird, und die unablässige Suche nach Möglichkeiten zur Senkung der Personalkosten fördert erkennbar nicht die Leistungsbereitschaft. Gleiches bewirkt der beinahe schon regelhafte Austausch der meist teureren (und gegenüber der Unternehmenspolitik oft auch widersetzlicheren) Älteren durch preiswerter zu beschäftigende (und leichter zu dirigierende) Jüngere.
Fragwürdige Beschäftigungspraktiken
«Man will viel für wenig, wir werden doch ausgequetscht!» Auch so ein Satz, der häufig zu hören ist. Meist im Gesprächszusammenhang mit der Erfahrung, dass bei erfüllter Zielvereinbarung flugs das Soll weiter nach oben geschraubt wird. Sauer stossen auch – zumindest in Deutschland – die oft sehr fragwürdigen Beschäftigungspraktiken von Praktikanten, die fast zur Selbstverständlichkeit gewordene Beschäftigung auf Zeit, der Einsatz von Leiharbeitnehmern und die Arbeitsausführung durch Werksverträge auf. Dass all das, was da im Inneren grummelt, nicht gerade den Willen befeuert, sich über Gebühr anzustrengen, ist das ein Wunder? «Wie und worauf soll auf dieser Ungewissheit eine Existenz gegründet werden?» Eine Überlegung, die umtreibt und auch bremst.
Lassen wir die andere Seite, die der Arbeitgeber und Unternehmer, zu Wort kommen. Es ist nicht so, dass die Problematik hinter der Leistungsproblematik nicht gesehen würde. Aber sie wird überlagert durch eine andere Problematik: die des globalen Wirtschaftsgeschehens mit seinem immer drückender werdenden Zwang zur Rationalisierung und Auslagerung von Tä tigkeiten dorthin, wo sich das Lohn- und Gehaltsgefüge anders darstellt. Daraus ergäbe sich in stetig wachsendem Masse der Druck, Personal als Kostenfaktor zu sehen und entsprechend mit ihm umzugehen. Es seien nicht nur die Shareholder, die von immer wenigeren immer mehr erwarteten.
Die drohenden Folgen der Digitalisierung
Und dann wachse auch die Mensch-Maschine-Konkurrenz. Auch sie dürfe nicht ausser Betracht gelassen werden. Die, pauschal gesagt, Digitalisierung1 der Wirtschaft mache den arbeitenden Menschen keineswegs überflüssig. Aber es werde gleichermassen zunehmend leichter und auch zwingender, Arbeitsplätze anstatt mit Menschen- mit Maschinenkraft zu besetzen. Und dieser Verdrängungsprozess greife beileibe nicht nur da am stärkten, wo die Qualifikation am geringsten sei.
Angesprochen ist hier die Wirtschaft 4.0, das heraufziehende Zeitalter der vernetzten Produktion, bei der Maschinen miteinander kommunizieren und dazu auch noch mit den Produkten, die sie herstellen. Zu der auch die Möglichkeit der individualisierten Produktion mit 3D-Druckern gehört. Die Zahntechniker in den Dentallaboren beispielsweise dürften schon in naher Zukunft die Konkurrenz dieser neuen Möglichkeit bei der Herstellung von Zahnkronen immer mehr zu spüren bekommen. Angesprochen ist auch Big Data, die rapide wachsende Fähigkeit zur Verarbeitung riesiger Datenmengen. In der Produktion wie auch im Dienstleistungsbereich im weitesten Sinn sehen sich die Verantwortlichen revolutionä ren Veränderungen gegenüber.
Globaler Wettbewerb um Jobs
Schon ist die Rede davon, die Wirtschaft müsse sich neu erfinden. Der österreichische Nationalökonom Schumpeter fand dafür einen eigentlich viel eleganteren Begriff: «schöpferische Zerstörung». Natürlich werden durch diesen Fortschritt nicht nur Arbeitsplätze schöpferisch zerstört, es entstehen auch neue. Aber für wen? Und: Wie viel tatsächlich? Dass es hier zu einem Konkurrenzkampf zwischen den belebten Belegschaftsmitgliedern und den unbelebten kommen wird, steht ausser Frage. Und ausser Frage scheint auch zu stehen, dass dieser sich abzeichnende Konkurrenzkampf brisant zu werden verspricht. Die HWWI-Studie jedenfalls lässt daran keinen Zweifel.
Um das, was sich da anbahnt, noch klarer einschätzen zu können, der Verweis auf das, was Jim Clifton vom Meinungsforschungsunternehmen Gallup in seinem Buch «The Coming Jobs War» schreibt: Von den künftig über fünf Milliarden Menschen über 15 Jahren werden drei Milliarden arbeiten wollen, Vollzeitjobs wird es aber nur für 1,2 Milliarden geben. Es wird einen globalen Wettbewerb um die verfügbaren Jobs geben. Und in diesem Wettbewerb – noch einmal der Titel des Buches: «The Coming Jobs War» – mitmischen zu können, dürfte nur den Anstrengungswilligen gelingen. Egal ob als abhängig Beschäftigte oder Unternehmer in eigener Regie.
Untauglich gegenüber alltäglichen Anforderungen?
«Warum soll ich mich anstrengen, wenn selbst bei bester Leistung alle Arbeitsplätze grundsätzlich zur Disposition stehen, wenn die Firma mal wieder umgekrempelt werden muss, weil zur Bilanzkosmetik die Kosten gesenkt werden müssen?» Schauen wir uns die Kehrseite dieses Zitats an. Da gibt die in Zürich lebende Psychotherapeutin Gisela Ana Cöppicus Folgendes zu Protokoll: «In der psychotherapeutischen Praxis werden oft narzisstisch gestörte, intelligente, aber überhebliche junge Menschen gesichtet, die sich vom Internetwissen nähren, aber beruflich kaum auf die Beine kommen. Sie machen den Eindruck von hochintelligenten Möchtegern-Nerds, sind aber untauglich gegenüber den Anforderungen des Alltags.»
Die Anforderungen des Alltags. In der Tat, sie machen zu schaffen, weil sie «was» anfordern, nämlich Einsatz. Ein Generationenproblem? Ein Blick in die Jobstudie 2015 der Unternehmensberatung EY Ernst & Young. Da ist zum einen zu lesen, der Wirtschaft stünden mit den Angehörigen der Generation 60 plus hoch engagiert arbeitende Kräfte zur Verfügung. Und zum anderen, dass die Angehörigen der jungen Genration schwieriger zu motivieren sind. Selbstverständlich nicht alle. Aber augenscheinlich doch eine ganze Menge
Unternehmer, Führungskräfte und verbiesterte Altgesellen im Handwerk sprechen unter der Hand weniger durch die Blume von teilweise Atem verschlagender Lust- und Interesselosigkeit einer Mehrheit von ihnen. Beklagt wird auch deren fehlende Belastbarkeit und Kritikfähigkeit sowie eine ausgeprägte Ichbezogenheit und ein in keiner Relation zur erbrachten Leistung stehendes Anspruchsdenken. Desgleichen die Tatsache, dass sie mit dem Glockenschlag des Feierabends «den Löffel fallen lassen». Freizeitbedürfnisse, so vermelden denn auch andere Studien, stehen deutlich höher im Kurs als der Aufbau einer beruflichen Standfestigkeit, die auch die heute unumgänglich dazu gehörenden beruflichen Brüche und Neuanfänge ins Kalkül zieht. In der Konkurrenz von Leistungs- und Anspruchsdenken hat Ersteres augenscheinlich immer schlechtere Karten. In einer Welt im galoppierenden Umbruch ist vor dieser Kurzsichtigkeit zu warnen.
Die «Self-efficacy»
Massgeblicher Anstoss zu dieser Warnung ist der Hinweis von therapeutischer Seite, dass bei wegbrechender äusserer Stabilität dem Bemühen um innere Stabilität immer grössere Bedeutung zukommt. Und das beruhigende Gefühl, leistungsfähig zu sein, etwas anpacken und auch gegen Widerstände durchziehen zu können, kurz, sich behaupten zu können, spiele dabei eine ganz zentrale Rolle. Für Thomas Weegen, den mit den Brüchen, Umbrüchen und Ungereimtheiten in der Wirtschaft vertrauten Geschäftsführer der Coverdale Unternehmensberatung in München, sollte deshalb «Leistung immer beides sein: ebenso selbstverständliche Pflicht dem Arbeitgeber wie auch sich selber gegenüber.» Der Irrtum, wer eine anständige Leistung abliefere, tue damit nur etwas für den Arbeitgeber, den hält Weegen für einen unter den sich abzeichnenden Umständen ausserordentlich selbstschädigenden.
Eine bemerkenswerte Koinzidenz zweier Fingerzeige. Was verbindet sie? Neben anderem der Name Albert Bandura und dessen Konzept der «perceived self-efficacy». Der kanadische Psychologe brachte Ende der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung beziehungsweise Selbstwirksamkeit ins Gespräch. Vereinfacht gesagt, verbirgt sich dahinter die einen Menschen stabilisierende Überzeugung, aufgrund gemachter Leistungserfahrungen neue oder schwierige Aufgaben ebenfalls wieder dank bewiesener Leistungsfähigkeit bewältigen zu können. Man weiss, man kann etwas. Auch, wenn der Wind einem scharf ins Gesicht bläst und der Boden unter den Füssen schwankt.
Self-efficacy steht mithin für den begründeten Glauben an die eigene Lebensbewältigungskompetenz. «Und die sollte unbedingt auch durch Leistung am Arbeitsplatz trainiert werden», sagt Weegen. Das Gefühl, dem Druck, der Ungewissheit und der Unvorhersehbarkeit des Berufslebens gewachsen gewesen zu sein, werde im Fall eines heute jederzeit möglichen beruflichen Umbruchs zur entscheidenden Triebkraft für den Neuanfang. Der «Dorsch», das kürzlich in 17. Auflage erschienene Standardwerk der Psychologie, unterstreicht diese Betrachtungsweise. Auf der Seite 1507 steht dort zu lesen: «Hohe S (= self-efficacy) wurde u.a. in Zusammenhang gebracht mit seltener auftretenden Angststörungen und Depressionen, guter schulischer und beruflicher Leistung, niedrigen Stressreaktionen, schneller Bewältigung von kritischen Lebensereignissen, hoher Schmerztoleranz, besserem Immunsystem, zufriedenstellenden Sozialbeziehungen und hohem Wohlbefinden.»