Überhöhte Erwartun – gen und ungenutzte Möglichkeiten

«Unsere Unternehmung hat keine Strategie» oder «Unsere Strategie steht lediglich auf Papier». Solche Aussagen sind in Unternehmen nicht selten. Dabei schwingen im Unterton enttäuschte Erwartungen mit. Der vorliegende Artikel analysiert das manchmal schwierige Verhältnis zwischen Schweizer KMU und Strategie und gibt eine Antwort auf die Frage: Was kann Strategie für den Geschäftsalltag einer Unter-nehmung tatsächlich leisten?

Überhöhte Erwartun - gen und ungenutzte Möglichkeiten

 

 

Manche Unternehmungen haben in ihren Unterlagen – und mittlerweile auf ihren Websites – eine aus einer Vision abgeleitete Strategie niedergeschrieben. Beide aber – Vi-sion und Strategie – erfüllen kaum mehr als eine Platzhalterfunktion. Aus diesem Um-stand mögen auch einige Enttäuschungen von Mitarbeitenden herrühren. Eine mögli-che Erklärung, wie es dazu kommt, liegt dar-in, dass die Geschäftsleitung zur Einführung eines Qualitätsmanagementsystems oder bei der Beantragung einer Finanzierung eine sol-che Strategie ausarbeiten müsste, diese Auf-gabe dann an einen externen Berater oder einen frisch aus- oder weitergebildeten Mit-arbeiter delegiert. Kaum tritt das Qualitäts-managementsystem in Kraft bzw. wird die Finanzierung zu- oder abgesprochen, schon legt die Geschäftsleitung das Strategiepapier zur Seite und widmet sich unbeirrt dem operativem Geschäft. In solchen Fällen geben Strategie und Vision kaum mehr als die aktu-elle Unternehmungslage wieder – ergänzt mit ein paar unverbindlichen Hinweisen auf eine vage, wünschenswerte Zukunft.

 

Fragt man nach, wieso Mitarbeitende ­eine Strategie vermissen, erzählen manche von einem unsteten Verhalten der Geschäftsleiten-den. Die Ausrichtung der Unternehmung sei ohne Vorankündigung gewechselt worden – sogar mehrfach – und keiner wisse Bescheid. Andere wünschten klare Ziele und würden gerne überhaupt verstehen wollen, wie ihr Bei-trag zum Erfolg der gesamten Unternehmung aussehen könnte. Manche noch bemängeln fehlende oder inkonsistente Entscheidungen und sind der Meinung, dass die Geschäfts­ leitung oft eine Erklärung schuldig bliebe.

Drei Gründe für den Verzicht auf Strategie
Doch wie sehen dies die Geschäftsleitenden von Schweizer KMU selbst? Aus meiner eige-nen Forschungstätigkeit habe ich die Er-kenntnis gewonnen, dass manche Unterneh-merInnen bewusst auf eine Strategie verzich-ten und zwar aus drei Gründen:

 

1. Einige wollen eine gewisse Wachstums-schwelle nicht überschreiten. Sie wachsen z.B. bis zur maximalen Führungsspanne, der sie direkt vorstehen können, und verzichten dann auf eine weitere Expansion, wenn die Erhöhung der Mitarbeiter­ anzahl mit der Einführung einer zusätz­ lichen Hierarchiestufe einherginge. Eine weitere Wachstumsgrenze ist geografi-scher Art: Manche Unternehmer wollen nicht über eine bestimmte Region hinaus expandieren, weil sie viel mehr herum-reisen bzw. ein Teil ihrer Verantwortung übertragen müssten.

 

2. Andere wollen sich nicht festlegen. Sie wollen opportunistisch nach Chancen Ausschau halten und empfinden die lang- fristige Festlegung eines definierten Kurses als unnötige Limitation. Sie experimentie- ren gerne, lancieren wiederholt neue Initi- ativen und sind aber auch schnell bereit, die misslungenen Ideen abzustossen.

 

3. Einige Unternehmer weisen auf die unvorhersagbare Umwelt hin und taxieren die Aufgabe, den Kurs ihrer Unternehmung lange im Voraus festzulegen sowie ihn entsprechend den ohnehin unsicheren Veränderungen der Umwelt kalibrieren zu wollen, als reine Zeit- und Ressourcenverschwendung. Solche Unternehmensführer investieren ihre Anstrengungen lieber in die Aufgabe, ihre Organisationen fit und agil zu machen bzw. zu halten, damit sie rasch und effektiv Umweltveränderungen nutzen können.

 

Neben den genannten gibt es vermutlich eine Residualkategorie, die zahlreiche andere Geschäftsleitende umfasst, die Strategie schlichtweg ignorieren, weil sie mit dem operativen Geschäft – ob gut oder schlecht laufend – restlos ausgelastet sind.

Wozu soll Strategie für ein KMU gut sein?
Wenn man Unternehmensstrategie studiert, lernt man analytische Methoden kennen, übt man den Umgang mit strukturierten Verfah-ren, um die Unternehmung, ihre Umwelt­ und deren Zusammenspiel zukunftsgerichtet zu reflektieren. Im Rahmen solcher Verfahren werden Chancen ermittelt, die Auswirkung von Risiken aus dem Wettbewerbsumfeld­ ab-gewogen, Handlungsoptionen erarbeitet, Ge-schäftsmodelle überprüft und getrimmt. Mo-delle und Verfahren, die hier zur Anwendung kommen, funktionieren nach dem bekannten GIGO-Prinzip: Müll rein, Müll raus (auf Eng-lisch: garbage in, garbage out). Ausformuliert: Eine uninspirierte, auf wenigen oberflächli-chen Daten basierende Analyse wird keine zukunftweisenden Ergebnisse liefern. Noch mehr: Keine Analyse wird den unternehme­ rischen Geist ersetzen, geschweige denn über-trumpfen können. Unternehmerische Ent-scheidungen sind risikobehaftet und keine wie sorgfältig auch immer ausgeführte Analy-se dürfte alle Ungewissheiten ausmerzen. Ei-ne Strategie ist also nicht in der Lage, anstelle der Unternehmer Entscheidungen zu treffen. Das mag manche UnternehmerInnen dazu bewegen, ganz darauf zu verzichten.

 

Wozu ist also Strategie wirklich gut für ein KMU? Darauf gibt es eine dreifache Antwort:

 

1. Manche Unternehmer führen solche Ana-lysen „automatisch“ durch. Das heisst, sie gehen intuitiv vor und sehen dies als selbstverständlichen Bestandteil ihrer Rolle. Ihr Vorgehen basiert aber weniger auf Eingebungen sondern weitestgehend auf ihrer langjährigen Erfahrung im Tätig-keitsbereich ihrer Unternehmung. Eine strukturierte Vorgehensweise aus einer Strategie heraus bietet indes gerade sol-chen UnternehmerInnen eine Gelegen-heit an, um über die Grenzen ihres ge-wohnten Horizonts hinaus zu denken und somit Einseitigkeiten, blinde Flecken und Widersprüche aufzudecken, sowie neue Möglichkeiten auszuloten.

 

2. Gerade erfahrene UnternehmerInnen zwingt eine sorgfältige Strategiearbeit dazu, Annahmen, Vermutungen, Überzeugungen über die Unternehmung und ihre Wett­ bewerbsposition, Perspektiven zur Umwelt und zu ihrer Entwicklung offenzulegen und somit überhaupt besprechbar zu machen.

 

3. Eine gut geleistete Strategiearbeit bietet Geschäftsführern von KMU eine Plattform, um die Mitarbeitenden in ihre unterneh-merische Perspektive einzuweihen. Gleich-zeitig besteht die Gelegenheit, sie durch Meinungsaustausch einzubinden. Die Geschäftsleitung selber profitiert davon, wenn sie die Mitarbeitenden nicht aus-schliesslich in einer ausführenden Rolle sieht. Für manche Unternehmer mag der Aufwand einer Erklärung zu gross erschei-nen im Vergleich zum erwarteten Ergebnis. Andere mögen die Absicht hegen, das eige-ne Erfolgsrezept nicht allen offenlegen zu wollen. Sollen jedoch die Mitarbeitenden eine Strategie aktiv mittragen, ist es not-wendig, sie entsprechend einzubeziehen. Dabei ist es nicht einmal zwingend, die Mitarbeitenden in die Entwicklung der Strategie direkt zu involvieren. Wichtig ist, mit ihnen in einen Meinungsaustausch zu treten, sie ihre Fragen stellen, Einwände bringen, Anpassungsvorschläge formulie-ren zu lassen und das Geschäftsmodell der Unternehmung besser zu erläutern.

Den Wandel beachten
Zu den ersten beiden genannten Aspekten sei angemerkt: Das Wissen über Spielregeln und Erfolgsfaktoren in einer Branche, das der er-probten Denk- und Handlungsweise einer ­erfahrenen Geschäftsleitung zugrunde liegt, wird in der Fachliteratur als «vorherrschende Logik» (auf Englisch: dominant logic) be-zeichnet. Diese ist äusserst hilfreich, um die Komplexität zu reduzieren (da sie Vereinfa-chungen beinhaltet) sowie um die über die Zeit gewonnenen Erfahrungen produktiv einzusetzen. Sie hat aber eine leicht zu erah-nende Kehrseite: Wenn die Umstände ändern resp. wenn neue Gegebenheiten an Relevanz gewinnen, dann verlieren die Binsenwahr-heiten einer Branche ihre Gültigkeit. Je einge-hender der Wandel, desto wichtiger eine Überprüfung der eigenen Perspektive. Leider klammern sich viele, insbesondere erfolgrei-che UnternehmerInnen an alten Logiken fest und gehen weiterhin nach der vorherrschen-den, bis anhin bewährten Methode vor. Somit reduzieren sie die Chancen, den unvermeid-lichen Wandel erfolgreich zu meistern. Die Aktualität des Themas kann man gegenwärtig an der Herausforderung der Digitalisierung in allen ihren Facetten messen.

 

Eine abschliessende Bemerkung: In vie-len Diskussionen um Strategie wird übersehen,­ dass Strategie nicht per se zum Erfolg führen muss. Gerade in der Schweiz sollten wir inzwi-schen wissen, dass auch Unternehmungen mit ausgefeilten Strategien scheitern, denn es gibt auch schlechte Strategien.

 

 

 

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