Druck in Zug verwandeln

Vorgesetzte könn(t)en die Zusammenarbeit mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unkomplizierter und effizienter gestalten – wenn sie bedenken, dass auch am Arbeitsplatz Gefühle eine Rolle spielen.

Druck in Zug verwandeln

 

 

«Die Entwicklung des Umgangsverhaltens gibt Anlass zur Sorge. Zwischenmenschliche Reibereien aus dem aufschiessenden Emp-finden des Augenblicks heraus sind an der Ta-gesordnung. Es wird impulsiv, schon bei Klei-nigkeiten schnell auch aggressiv und nach-tragend reagiert, vermeintlich unangebrach-te Mimik oder Gestik als Beleidigung angese-hen, es wird angenommen, vermutet, hinein-interpretiert, mit Schuldzuweisungen han-tiert, man masst sich die Meinungshoheit an», beschreibt der Wiener Psychotherapeut Pro-fessor Dr. Alfred Kirchmayr das zunehmend zu Beobachtende.

Symptome und ihre Ursachen
Auch mit den betrieblichen Hinter- und Un-tergrundströmungen vertraute Unterneh-mensberater registrieren, was Kirchmayr Sorge bereitet. Der Zusammenarbeitsexperte und Geschäftsführer der Münchner Cover­ dale Unternehmensberatung Thomas Wee-gen nennt in den Unternehmen spürbare Auswirkungen und Folgen davon: «Schlecht-machen, üble Nachrede, unkollegiales, sper-riges oder firmenschädigendes Mitarbeiter-verhalten, innere Kündigung, Mobbing, Intri-gen und alle möglichen Quertreibereien las-sen sich immer irgendwie auf Auswirkungen von Verhaltensempfindungen zurückfüh-ren.» Durchgängige Erfahrung sei, bei Füh-rungs- wie Problemen im Team spielten Ge-danken der Rache und des Heimzahlens als Antwort auf als verletzend empfundene Ver-haltensweisen stets eine Rolle.

«Keine Empfindlichkeitsreaktionen auslösen»
«Wenn Führung als zielorientierte soziale Interaktion­ ihrem Zweck folgend auch unbe-dingt wegweisend und fordernd sein muss, so sollte sie jedoch ebenso unbedingt gleichzei-tig auch darauf bedacht sein, keine Empfind-lichkeitsreaktionen auszulösen. Fehlt es an einem gewissen Fingerspitzengefühl und ge-sellen sich dazu auch noch Taktlosigkeiten, lösen Führende dadurch Abwehrreaktionen aus, die auf unterschiedliche Weise ungemein negativ zu Buche schlagen können», sagt Pro-fessor Erich Kirchler, Vorstand des Instituts für Angewandte Psychologie der Universität Wien. Er verweist auf das Paretoprinzip. Demzufolge werden mit 20 Prozent des Auf-wands 80 Prozent des Ergebnisses erzielt. Vergleichbares gelte auch für die Führung. Solle in der Zusammenarbeit diese Relation aufgehen, dann brauche es Verhaltens­ geschick. «Alle einschlägigen Forschungs­ ergebnisse zeigen, die Kooperationswilligkeit einer Belegschaft wird über die Akzeptanz der Vorgesetzten gesteuert. Und das heisst, die wirkungsvollste Motivation ist Fingerspitzen-gefühl bei der Führung, die zuverlässigste ­Demotivation dessen Fehlen.»

Fehlendes Fingerspitzengefühl
Weegen findet diesbezüglich klare Worte: «Wenn Führungskräfte beim an sich schon heiklen, weil Verunsicherung auslösenden Management des Transformationsgeschehens etwas grundfalsch machen können, dann, nur ihre Zielvorgaben im Auge zu haben und da­ rüber die Menschen, mit denen sie diese Ziele kooperativ erreichen müssen, aus den Augen zu verlieren.» Am auffälligsten zeige sich diese Fehlsichtigkeit am Verhaltensauftritt. Dabei spiele der Umgangston eine ganz ungute Rol-le. Bewirke doch gerade dessen Zungenschlag in einem Masse Lust oder Unlust, das enorm unterschätzt werde. «In der jetzigen technolo-gischen Umbruchsituation sind die Nerven

 

«Die wirkungsvollste Motivation ist Fingerspitzen­ gefühl bei der Führung.»

 

aller ohnehin angespannt. Lieb gewordene Komfortzonen müssen verlassen, vom Ge-wohnten muss losgelassen, auf meist umstür-zend Neues muss sich eingelassen werden, man muss sich damit auseinandersetzen. Die-sem enormen Müssen ist es gar nicht dienlich, die Mitarbeitenden zusätzlich auch noch ver-bal vor den Kopf zu stossen.»

 

Warum das so fatal wirkt, erklärt Kirchmayr: «Durch nachlässige oder ganz und gar unangebrachte Tonalität herauf­ beschworene Frustrationen lösen eine nur schwer wieder abklingende innere Auf­ geregtheit und Alarmbereitschaft aus. Wer im Inneren aufgewühlt ist, ist mit den Ge-danken nicht bei der Sache, ist abgelenkt, unkonzentriert, mit seinen Gefühlen be-schäftigt und entsprechend unzugänglich und unwillig.» Innere Erregung, zumal an-haltende, blockiere eben nicht allein die Lust auf beherztes Mitmachen und Mitdenken, sondern auch die Aufgeschlossenheit und Aufnahmebereitschaft für Neues. Rumore es in einem Menschen, dann sei dieser Mensch mit sich selbst beschäftigt und in des Wortes wahrstem Sinne schlicht und einfach zu. «Ob in privaten oder beruflichen Beziehungen, wer sich diese Zusammenhänge nicht wirk-lich einmal für sich selbst und in den Aus-wirkungen auf andere konsequent bewusst macht, beschwört unbeirrt laufend neue Disharmonien herauf. Und damit eine Dauererregung,­ die sich ihr Ventil sucht. Sei es der Wunsch, etwas heimzuzahlen, sei es eine sich stetig mehr verhärtende Abwehr-und Verweigerungshaltung.»

Blockaden und Bremsklötze
Ganz grundsätzlich seien Menschen in Dauer­ erregung hyperempfindlich, auch antriebs- los. Widerspenstigkeit, nicht mehr Wollen und eben auch Können blockiere ihre Tat- kraft und vorbehaltlose Bereitschaft, sich mit den Anforderungen des Tages und der Zeit auseinanderzusetzen. «Auf das Management der anstehenden digitalen Veränderungen mit ihren tiefgreifenden organisationalen und personalen Auswirkungen wirkt das wie ein Bremsklotz», sagt Weegen. Übe die Ge- samtsituation auf alle Beteiligten schon einen enormen Druck aus, so erhöhe sich der noch durch unbedacht ausgelöste Emotionalität. Verstünden es die Vorgesetzten hingegen, über ihr bedachtes Führungsverhalten Druck aus der Situation zu nehmen, dann wirke das für alle entlastend und gleichzeitig aktivie- rend. «Im Grunde geht es darum, aus Druck Zug zu machen, über die Herstellung von Verbundenheit die Teammitglieder mitzu- ziehen.»

Der Mensch und seine Gestaltungsaufgabe
Sich der Wirkung des eigenen Verhaltens be- wusst zu sein und entsprechend zu handeln, das, sagt Therapeut Kirchmayr, «ist die viel-leicht mächtigste, dem persönlichen Zugriff offenstehende Gestaltungskraft im Leben». Ob in Beziehung, Familie, Freundschaft, Be-ruf, überall, wo der Mensch auf Menschen treffe, sich mit Menschen ins Benehmen set-zen und in Kooperation etwas bewirken müsse, stehe der Mensch vor einer Gestal-tungsaufgabe. Sich das immer wieder vor Augen­ zu führen und dementsprechend zu handeln, «das mag nicht in jeder Situation ganz einfach sein, manchmal vielleicht auch an die Selbstüberwindung appellieren und dem gefühlsmässig als eigentlich angebracht Angesehenen zuwiderlaufen, erweist sich in den meisten Fällen im Nachhinein betrach-tet aber als Segen und Schlüssel zum Erfolg. Übrigens auch für die Gesundheit.»

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