Risikomanagement in agilen Organisationen

Agile Organisationen entwickeln netzwerkartige Strukturen oder bringen die Ablauf-organisation gleichermassen wie die Prozessteams mithilfe von interdisziplinären Teams in Richtung Kunde. Weil die funktionale Organisation keine unmittelbare Wertschöpfung generiert, könnte sie deshalb mittelfristig Modellen wie beispiels-weise EFQM nachstehen, weil EFQM den Ansatz und starke Interaktion zwischen Befähiger und Ergebnis befolgt. Und auch Risiken sowie Learnings werden in naher Zukunft vermehrt im Team geprüft. Anders als bisherige (Projekt-)Reviews, wird die Auseinandersetzung darauf abzielen, aus der Retrospektive zu lernen, weshalb et-was funktionierte/weshalb es nicht funktionierte.

Risikomanagement in agilen Organisationen

 

 

Die viel erwähnte Geschwindigkeit und Dy-namik bezieht sich auf die oft ändernden Be-dürfnisse der Kunden, Anspruchsgruppen etc. Um dem Wettbewerb hinsichtlich neuen Produkten/Dienstleistungen, Effizienz- und Qualitätserhöhung standzuhalten, sind nebst neuen Geschäftsmodellen auch die Geschäfts-prozesse anzupassen.

Klassische Prozessorientierung
Hierarchische, funktionale Organisationen mit hohem Abstimmungs- und Freigabe­ bedarf sind dafür immer weniger geeignet. Entscheidungswege sind nicht mehr schnell und effektiv genug, um auf die dynamischen Herausforderungen angemessen zu reagie-ren. Dafür werden deshalb zunehmend­ agile Ansätze zur Organisationsentwicklung sowie bei bereichs- und unternehmensweiten Ver-änderungsprozessen ­genutzt. Auch die Norm für Qualitätsmanagementsysteme erkannte, dass diesen Herausforderungen mit der soge-nannten Prozessorientierung­ leichter zu be-gegnen ist. Bereits im Jahr 2000 empfahl sie, die Prozessorientierung, «wo möglich, anzu-wenden». Rund zwanzig Jahre später, ist es ein vorausgesetztes Grundprinzip (1) und zu-mindest in Kapitel 5.1.2 eine explizite Anfor-derung.

 

Bei der klassischen Prozessorientierung liegt der Fokus auf den funktions-/bereichs-übergreifenden Abläufen. Diese werden End-to-End definiert, d.h. von der Auslösung der Kundenbestellung bis zur bezahlten Rech-nung. Auch die Führungsverantwortung durch Prozesseigner wird dem Prozess zugeordnet. So ist ein Prozesseigner in der Lage, zeitnahe auf neue Anforderungen zu reagieren und den zugeordneten Prozess anzupassen, ohne wei-tere formale Freigaben durch die Linie zu er-wirken.

 

Trotzdem konnten sich Prozessorgani-sationen – mit Ausnahme weniger Branchen wie Automobilindustrie, Automation – nicht gleichermassen durchsetzen. Zwar schreiben Unternehmen Prozesslandkarten mit hori- zontalen Geschäftsprozessen und nominie-ren Prozess-Owner, doch Entwicklungen und Entscheidungen werden weiterhin meist ver-tikal nach funktionalen Gegebenheiten vor-genommen.

Agile Prozessorientierung
Agile Unternehmen richten analog der Pro-zessorientierung aus dem Qualitätsmanage-ment ihre Strategie auch auf Kunden aus und streben einen möglichst hohen Kundennut-zen an. Dies bedeutet, dass sie das Unterneh-men in allen Bereichen aus der Kundenper­ spektive betrachten. In der Praxis entwickeln agile Organisationen netzwerkartige Struk-turen oder bringen die Ablauforganisation gleichermassen wie die Prozessteams mithil-fe von interdisziplinären Teams in Richtung Kunde. Und weil die funktionale Organisati-on keine unmittelbare Wertschöpfung gene-riert, wird sie voraussichtlich Modellen wie beispielsweise EFQM (und dem Befähiger-Ergebnis-Ansatz) nachstehen.

 

Die Vorteile liegen nachweislich auf der Hand. Teammitglieder müssen sich nicht in unterschiedliche Felder einarbeiten, sondern Experten aus den jeweiligen Richtungen können relevantes Wissen ganzheitlicher aufarbeiten. Sie werden zu neuen Denkweisen herausgefordert, wodurch die Ideen und Gedankengänge zu einzelnen Problemstellungen übergreifender verstanden und in die Organisation auch kulturell weitergetragen werden. Dies verstärkt letztendlich die Identifikation und das Committment innerhalb eines Unternehmens und ist der Grundstein für einen nachhaltigen Wandel. Prozessorientierung ist somit kein Gegensatz zu agilen Ansätzen und Methoden.

Mensch und Prozess
Der Unterschied, warum die Anwendung von Prozessorientierung mit interdisziplinären Teams künftig eine bessere Chance haben wird, ist, dass mit der Entscheidung zur Digi-talisierung agile Ansätze für den Wandel erfor-derlich werden. Dabei geht der agile Ansatz davon aus, dass Qualität nicht von Prozessen, sondern von einem höheren Faktor abhängig ist: dem Menschen. Im Umkehrschluss bedeu-tet das auch, dass deswegen der Mensch und nicht Prozesse (alleine) ein Qualitätsfaktor sind, und das nimmt sie in den Mittelpunkt. Diese Handlung führt zwangsläufig zur der-zeit noch fehlenden Durchsetzungskraft von interdisziplinären Teams und Prozessorientie-rung.

 

Weiter zu beachten ist, dass dieser Wandel unabhängig von Qualitätsmanage-ment oder agiler Methode im Unternehmen formal verankert werden muss. Eine durch-gängige Governance kann dabei gmassgebli-che Regeln und Vorgaben (Qualitätspolitik, Agil-Manifest, Lean-Prinzipien etc.) festlegen. Durch ein durchgängiges Risikomanagement kann die Etablierung einer gelebten Prozesso-rientierung gestärkt und diesbezügliche Risi-ken überwacht und gesteuert werden.

 

Zu guter Letzt ist auch zu beachten, dass in jedem Unternehmen Prozesse bestehen, die dynamisch sind und öfter neugestaltet wer-den müssen, und solche, die über ­einen Zeit-raum möglichst stabil funktionieren sollen. Wichtig für die Wahl der Methode ist, dass agi-le Methoden sich vor allem für Prozesse eig-nen, die komplexen und dynamischen Anfor-derungen gerecht werden müssen – weniger hingegen für Prozesse mit hohen Anforderun-gen an Korrektheit und ­Regelkonformität (Compliance). Auf die Prozesslandkarte haben diese Veränderungen kaum eine Auswirkung. Ausgehend davon, dass die Prozesslandkarte nicht zu detailliert dokumentiert ist, bleibt die Abbildung der Wertschöpfungsprozesse (Leis-tungserbringungs-, Kunden- oder Innovati-onsprozess) unverändert. Erst die darunterlie-gende Darstellung, wie diese Tätigkeiten zu erfolgen haben, bzw. die Art der Handlungen ist durch den Wandel stark dynamisch. Und deshalb können agile und konventionelle Me-thoden über verschiedene Prozesse hinweg in unterschiedlichem Umfang und Ausmass kombiniert werden.

Risikobasiertes Denken und Handeln
Die aktuelle Norm ISO 9001:2015 für Quali-tätsmanagementsysteme zieht punkto be-triebswirtschaftlichen Ansätzen mit der letz-ten Revision erst nach und greift neu auch das Thema risikobasiertes Denken und Handeln ausdrücklich auf. Doch überlässt sie die dies-bezüglichen Handlungsfelder richtigerweise den Unternehmen.

 

Risiko ist die Wirkung von Unsicherheit und Ungewissheit. Bereits die Entscheidung einer Unternehmungsführung, künftig «digi-tal zu werden», schürt bereits bei manchem Unsicherheit und Existenzfragen. Auch die für diesen Wandel neuerdings anzuwenden-den Rahmenwerke mit ungewöhnlichen Be-zeichnungen wie Scrum, LeSS, SAfE etc. aus der «fernen» Softwareentwicklung klingen so ungewöhnlich, wie ihre Herangehensweisen wirken können. Da stellt sich nachvollziehba-rerweise auch die Frage, ob diese Ansätze dem wichtigen Punkt Risiken-/Chancenbetrach-tung Rechnung tragen oder welche Auswir-kungen sie auf Elemente des Management-systems sonst noch haben.

 

Ein agiles Risikomanagement wird durch einen kontinuierlichen Risikomanage-mentprozess gelebt. Dafür werden durch kon-tinuierliches Lernen aus Fehlschlägen und Erfolgen die Massnahmen und Reviews noch während der Umsetzung integriert, und diese schaffen Platz für Vertrauen und Offenheit.

 

Es gibt mehrere Beispiele in Agil, effek-tiv mit Risiken umzugehen. Das Fundament stellt auch hierbei das agile Manifest dar. Durch einen offenen und mutigen Umgang mit Hindernissen aller Art (Impediments) werden beispielsweise in der Scrum-Metho-de Risiken gemeinsam angegangen. Verände-rungen, sowohl organisatorisch als auch auf die Leistung oder das Produkt bezogen, sind erwünscht. Im Umkehrschluss bedeutet das auch, dass eine zu genau geplante Zukunft ein grosses Risiko ist. Stattdessen wird in kurzen Zeitspannen (Sprints) gearbeitet und man kann frühzeitig auf Veränderungen reagie-ren. Kundenwünsche werden berücksichtigt, indem sie zum notwendigen Zeitpunkt bei der Umsetzung berücksichtigt werden. Somit bleibt die Priorisierung der Anforderungen nach Wichtigkeit aufrechterhalten.

 

In der Projektumsetzung treten stets «Hindernisse» auf, die ein Risiko darstellen. Diese werden anfänglich gesammelt und auf Boards transparent gemacht. Hier findet man beispielsweise die zwischenmenschlichen Probleme und organisatorischen Hindernis-se, die während der Zusammenarbeit entste-hen und ein Risiko für das Erreichen der Ziele darstellen. Durch Diskussion (User Stories) schafft das Team ein gemeinsames Verständ-nis für jedes und alles, was beschäftigt. Denn erst durch die Bilder aller Beteiligten wird das vielschichtige System realitätsnah. Auch der ScrumMaster sozusagen als Primus inter pa-res im Team hat die Aufgabe, diese Hindernis-se bereichsübergreifend zu thematisieren und die Veränderungskultur positiv über alle Stufen einzufordern. Kern ist und bleibt aber, dass diese Rückmeldungen nicht einmalig, sondern kontinuierlich bis zum Ende erfol-gen.

Die Frage nach dem «Warum»
Aus dem agilen Manifest, das in der vorheri-gen Ausgabe vorgestellt wurde, könnte der Eindruck entstehen, dass vor lauter Soft-Kri-terien Qualitätsthemen wie Prozesse, Werk-zeuge, Dokumente unwichtiger werden. Auch könnte der umgekehrte Eindruck auf-kommen, dass aufgrund noch nie da gewese-ner Auswertungsmöglichkeiten, Entschei-dungen derart zahlen-, daten-, faktenbasiert getroffen werden, dass die Soft-Aspekte gänz-lich ausser Acht bleiben. Sicherlich sind beide Risikopotenziale auch nicht unbegründet. Doch dem wirken folgende Herangehenswei-sen in agilen Projekten entgegen: So stark der schnelle Zeitfokus ist, so stark werteorien-tiert wird in agilen Projekten Kultur gelebt. Für kontinuierliches Lernen aus Fehlschlägen und Erfolgen werden Rituale und Reviews noch während der Umsetzung integriert, und sie schaffen Platz für Vertrauen und Offen-heit. Anders als bisherige Reviews ist auch, dass nicht das, «was funktioniert hat/was nicht funktioniert hat», sondern die Frage, «Weshalb funktioniert es?/Weshalb funktio-niert es nicht?» im Mittelpunkt steht.

 

Mit diesen Ausführungen wird ver-ständlich, dass nebst den bekannten Daten-schutzrisiken Kultur eines der Hauptrisiken für Agilität im Unternehmen ist. Demnach reicht auch nicht nur der Wunsch der Füh-rung, mit dem Wandel gehen zu wollen und dafür neue Ansätze anzuwenden. Für die oben erwähnten Umgangsformen benötigt es auch eine neue (Risiko-)Kultur, die systema-tisch geplant und deren Wandel in ihrer Wirksamkeit gemessen und gesteuert wer-den muss. Mit der Planung sollte auf Füh-rungsstufe ein gemeinsames Verständnis für den Risikoappetit geschaffen werden. Wie viele Risiken möchte sich die Führung auf dem Weg zum Wandel leisten? Welche Risi-kolimiten (Heat-Map) sollen berücksichtigt werden? Erst nach diesen Antworten kann geplant werden, welche Sensibilisierungs-massnahmen für dieses Bewusstsein bei Mit-arbeitenden zielführend werden. Und erst nach der Einführung dieser Sensibilisie-rungsmassnahmen kann die entsprechende Einstellung von Mitarbeitenden voraus­ gesetzt werden.

 

Geht man mit dieser Systematik an das Thema Risiken heran, wird man dem An-spruch der Normanforderungen sowie Quali-tätsmanagementprinzipien auf «Angemes-senheit» sowie «risiko-/chancenbasiertes Denken/Handeln» gerecht. Betrachtet man diese Chance mit Unsicherheit, Skepsis bis Nichtglauben und erwägt sie deshalb nicht für das Unternehmen, dürfte das im Umkehr-schluss ein strategisch grösseres Risiko dar-stellen, was den künftigen Erfolg der Unter-nehmung betrifft.

(Visited 843 times, 1 visits today)

Weitere Artikel zum Thema