Weshalb wir einen ethischen Kompass brauchen?

Interview zu den zwei vermeintlich gegensätzlichen Disziplinen «Ethik» und «Künstliche Intelligenz» mit Marc Holitscher, National Technology Officer bei Microsoft Schweiz.

 

Als National Technology Officer und Mitglied der Geschäftsleitung von Microsoft Schweiz unterstützt Marc Holitscher ausgewählte Kunden bei der Umsetzung innovativer Geschäftsmodelle. Insbesondere arbeitet er eng mit Firmen der Finanzindustrie zusammen und begleitet diese in der ganzheitlichen Beurteilung relevanter Chancen und Risiken bei der Adoption von Cloud-basierten Szenarien. Zudem verantwortet Marc Holitscher die Positionierung strategischer Themen wie Cybersecurity oder künstliche Intelligenz bei Entscheidungsträgern im kommerziellen und öffentlichen Bereich.

Herr Holitscher, was verstehen Sie unter künstlicher Intelligenz (KI)?

Bei der künstlichen Intelligenz (KI) handelt es sich um eine sogenannte Basistechnologie. Das heisst, sie bildet das Fundament für weiterführende Innovationschritte – und dies über alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche hinweg. Der KI-Begriff selbst beschreibt verschiedene Technologien, die in ihrem Zusammenwirken menschliche Fähigkeiten im Sehen, Hören, Analysieren, Entscheiden und Handeln ergänzen und stärken. Das ist nicht zwingend neu, aber drei Faktoren beschleunigen die Entwicklung von KI: grosse Datenmengen, die Cloud und leistungsstarke Algorithmen. KI soll den Menschen unterstützen, nicht ersetzen. Unser Ziel ist es daher, dass Mensch und Maschine bestmöglich zusammenarbeiten.

Welche Branchen sind heute im Bereich der KI besonders gefordert?

Es gibt keinen Sektor, der nicht von KI verändert wird. Wir sind dieser Frage in einer gemeinsamen Studie mit EY nachgegangen: Besonders im Life-Science-Bereich erwarten 96 Prozent aller Führungskräfte einen hohen oder sehr hohen Einfluss von KI. Aber auch im Dienstleistungsbereich sind die Erwartungen hoch, ähnlich im Finanzbereich. Analog zu den Firmen, müssen sich aber auch Volkswirtschaften an sich vorbereiten. Dies gilt ebenso für die Schweiz. Über alle Sektoren hinweg erwarten Führungskräfte positive Impulse für die Kundenbetreuung, die Produktinnovation sowie die verbesserte Effizienz ihrer Unternehmen und für attraktivere Arbeitsbedingungen.

Die KI beinhaltet Chancen für die Zukunft – wo sehen Sie die Gefahren (aus Sicht Unternehmen und Gesellschaft)?

Wir sind uns des Spannungsfelds zwischen Chancen und Herausforderungen der KI bewusst. Unser Ausgangspunkt ist: Der Mensch muss im Zentrum stehen. Die Technologie muss so gestaltet sein, dass sie den menschlichen Einfallsreichtum und die menschlichen Fähigkeiten ergänzt und erweitert. Genau darum ist es so wichtig, dass man sich proaktiv mit KI auseinandersetzt und diese in ihren Schattierungen einordnen kann. Dies gilt für Unternehmen ebenso wie Privatpersonen. Ist alles, was technisch machbar ist, auch kommerziell und gesellschaftlich wünschbar? Denken Sie beispielsweise an die diskriminierende Wirkung von KI, wenn diese auf einer verzerrten Datenbasis aufsetzt. Wir sehen immer mehr Firmen, die sich diese Fragen stellen und nach prinzipienbasierten Wegen suchen, das eigene Risikomanagement weiterzuentwickeln.

Es gibt heute grosse Vorbehalte und Ängste in der Gesellschaft gegenüber KI – wie kann man beim Konsumenten Vertrauen gewinnen?

Die unbedingte Voraussetzung für den am Menschen orientierten Einsatz von KI ist, dass dieser entlang von klar definierten Werten und Regeln geschieht. Microsoft hat hierzu sechs ethische Grundsätze definiert. Es sind: Fairness, Zuverlässigkeit, Datenschutz und Sicherheit, Inklusivität, Transparenz und Verantwortlichkeit. Zentrale Bedeutung kommt hierbei der Transparenz zu: Der Mensch muss verstehen, wie eine Entscheidung zustande kommt, nach welchen Kriterien sie gefällt wurde. Aktuell investieren wir viel in diesen Aspekt der Erklärbarkeit.

Was empfehlen Sie Unternehmen und der Gesellschaft (Wirtschaft, Politik) bez. des Umgangs mit den Gefahren?

Persönlich bedaure ich, dass der öffentliche Diskurs zu diesem zukunftsweisenden Thema in der Schweiz praktisch nicht stattfindet. Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem bewusste Entscheidungen gefällt werden müssen, was die Rahmenbedingungen für die Entwicklung und den Einsatz von KI angeht. Es gibt zwar eine Arbeitsgruppe Künstliche Intelligenz, die dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation untersteht. Diese ist aber interdepartemental aufgestellt und es findet kein ausreichender Austausch mit der Privatwirtschaft oder der Zivilgesellschaft statt.

Der Dialog und Wissenstransfer ist gerade für unser Land wichtig, weil die Schweiz mit ihren führenden Universitäten und Fachhochschulen sowie als Standort für aufstrebende KI-Unternehmen an sich gut positioniert ist. Wir sollten einen intensiveren Austausch fördern, denn fehlendes Bewusstsein für die Anwendung und Auswirkung der Technologie ist eine der grössten Herausforderungen.

Wie gehen Sie bei Microsoft als bedeutender globaler Player mit dem Thema KI und Ethik um? Wie nehmen Sie in diesem Kontext Ihre Verantwortung wahr?

Wir haben sechs Grundsätze erarbeitet, die unserer Meinung nach als Richtschnur für die Entwicklung und den Einsatz von künstlicher Intelligenz dienen sollten. Ich habe diese schon erwähnt. Entscheidend dabei ist, dass dies keine Lippenbekenntnisse sind. Es existieren konkrete Prozesse und Kontrollen, welche die Umsetzung dieser Prinzipien in unserer Organisation sicherstellen. So unterziehen wir KI-Projekte grundsätzlich einer Beurteilung, ob diese ethisch vertretbar sind oder nicht. Dabei kann es auch dazu kommen, dass wir auf den Geschäftsabschluss verzichten.

Zudem wollen wir die gesellschaftliche Debatte über diese Fragen weiter vorantreiben. Dazu gehört beispielsweise die Diskussion, in welchen Anwendungsbereichen wir den Einsatz von künstlicher Intelligenz explizit regulieren wollen. Als Beispiel wird hier immer wieder die Gesichtserkennung genannt.

 

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