Breit abgestützte Kompetenzen durch klinisches Risiko management
Ein Krankenhaus ist ein Hochrisikounternehmen. Es verlässt rund ein Prozent der stationär behandelten Patienten das Krankenhaus mit einem Schaden, der ihnen dort zugefügt worden ist. Im Vergleich mit den Nachbarländern gibt es einige Quali-tätsdefizite, die Schweizer Kliniken aufweisen. Sind sie auf Mängel im institutio-nellen Rahmen zurückzuführen? Steckt die Krux letztendlich in der Missachtung von Normen? Klinisches Qualitäts- und Risikomanagement lautet die Antwort.
Die Veröffentlichung der normativen Spezifi-kationen und insbesondere die Funktion und Kompetenzen des Risikomanagers entspra-chen einem über Erwarten grossen Bedürf-nis, einerseits von privaten Organisationen und öffentlichen Institutionen, die ein «Un-ternehmens-Risikomanagement» (ERM) be-treiben, andererseits den Einrichtungen des Gesundheitswesens, insbesondere der Kran-kenhäuser, die zwischenzeitlich in Österreich und in Deutschland mehrere Tausend klini-sche Risikomanager in mehrtägigen Lehrgän-gen ausgebildet und zertifiziert haben und im klinischen Betrieb einsetzen.
Die Risikomanagement-Normen tru-gen dazu bei, dass die Gesundheitsbehörden deren Inhalte zu einem grossen Teil als Vorga-ben übernommen haben.
Risikomanagement-Normen als Impulsgeber
In den vergangenen Jahren haben die inter-nationale Norm ISO 31000 und deren Spezi fikation durch die ONR 49000 das Risiko management zu einem anerkannten und wichtigen Führungsinstrument werden las-sen. Diese Normen definieren und spezifizie-ren nicht nur den Risikomanagement-Pro-zess (Rahmenbedingungen, Identifikation, Analyse, Bewertung und Bewältigung), son-dern auch das organisatorische Framework (Strategie, Verantwortlichkeiten, Planung, Umsetzung, Bewertung und Verbesserung) sowie die Integration von Risikomanagement in vorhandene Führungsinstrumente unter Berücksichtigung von Schnittstellen zum Qualitäts-, Compliance-, Sicherheits-, Not-fall- und zum Business Continuity Mana gement.
Die ONR 49003 definiert die Anforde-rungen an die Qualifikation eines Risikoma-nagers. Er muss dabei systematisch Risiko-management-Prozesse, einzelne Risikoma-nagement-Systeme kompetent berücksichti-gen, alle relevanten Punkte in ein umfassen-des Management-Framework integrieren.
Mindestanforderungen
Als Begleiterscheinung der normativen Impul-se wurden sowohl in Österreich auf Ebene der Bundesländer als auch in Deutschland auf Lan-desebene Mindestanforderungen an das kli nische Risiko- und Qualitätsmanagement zur Förderung der Patientensicherheit und Orga-nisationsentwicklung eingeführt. In Deutsch-land sind sie in § 136 a) des SGB V (Sozialgesetz-buch V) verankert und im Gemeinsamen-Bun-desausschuss-Beschluss spezifiziert. Dabei geht es um folgende Anforderungen:
- Ziel ist grösstmögliche Patientensicherheit und Sicherheitskultur.
- Risiko- und Qualitätsmanagement sind Füh- rungsaufgaben und die Verantwortung der Leitung.
- Es müssen Zuständigkeiten und Verant- wortlichkeiten geregelt sein.
- Ein Krankenhaus benötigt eine Risikostra- tegie, in der die Systematik der Erkennung, der Bewertung, der Bewältigung und der Risikoüberwachung dargestellt sind.
- Zur Umsetzung der Risikostrategie gehört auch eine entsprechende Risikokommuni- kation.
- Der systemische Ansatz des P-D-C-A-Zyk- lus ist anzuwenden.
- Die Führungskräfte und Mitarbeitenden sollen an entsprechenden Fortbildungen teilnehmen
- Fehlermeldesysteme, Beschwerdemanage- ment sowie eine OP-Checkliste sind zwin- gend einzusetzen.
- Bei der Verantwortung und bei den Zustän- digkeiten werden mehrere Rollen erwähnt:
- die oberste Leitung mit der Geschäftsfüh- rung und der medizinischen und pflegeri- schen Leitung,
- die Risikoeigner, welche grundsätzlich die Risikoverantwortung tragen,
- die Risikomanager, die den Prozess Risiko- management mit den verschiedenen Me- thoden anwenden und die verantwortli- chen Risikoeigner und Führungskräfte fachlich unterstützen können und
- die Auditoren (aus dem Bereich klinisches Risiko- und Qualitätsmanagement als auch aus dem Bereich Finanzen), welche die Wirk- samkeit des entsprechenden Systems bewer- ten und in grossen Organisationen gegen- über den Überwachungsorganen berichten.
Ziel des Kompetenzaufbaus: eine hohe Sicherheitskultur
Die Sicherheitskultur im klinischen Risiko-management von Krankenhäusern beschreibt die Art und Weise, wie Sicherheit im Rahmen der Patientenversorgung organisiert wird, und spiegelt damit:
- die Einstellungen
- die Überzeugungen,
- die Wahrnehmungen und
- die Wahrnehmungen und
der Führungskräfte und Mitarbeitenden in Bezug auf die Sicherheit von Patienten, Mit-arbeitenden und der Organisation wider. Eine Sicherheitskultur ist entwickelbar und unterliegt einem ständigen Lernprozess*. Man kann nun einfach darstellen, wie ausge-prägt eine Sicherheitskultur im Krankenhaus vorhanden ist. Dabei kann auf ein bekanntes Reifegradmodell zurückgegriffen werden.
Konzept der Ausbildung der klinischen Risikomanager
Das Konzept der Ausbildung von klinischen Risikoeignern und Risikomanagern ist in drei Stufen bzw. didaktische Ebenen unter-teilt:
- In der ersten Stufe (ca. 3 Tage) müssen die Teilnehmer insbesondere die regulatori-schen und normativen Grundlagen kennen und den Prozess Risikomanagement an- wenden lernen. Dabei geht es um verschie-dene Methoden wie Szenarioanalysen, Pro-zessanalysen, Schadenfall- und Fehlerana-lysen und ihre spezifischen Anwendungen im Krankenhaus.
- In der zweiten Stufe (ca. 3 Tage) werden die Methoden nochmals geübt und die Kom-ponenten des Risikomanagement-Systems behandelt und vertieft. Der zweite Teil schliesst mit einer schriftlichen Prüfung ab, welche den Qualifikationsschritt 1 dar-stellt.
- Der dritte Teil dient dem Transfer des Wis-sens in die betriebliche Realität des Kran-kenhauses. Der Teilnehmer muss eine Risi-kobeurteilung nach einer Methode seiner Wahl oder ein Risikomanagement-Konzept für sein Krankenhaus als Projektarbeit (umfang ca. 20 Seiten) erstellen.
- Nach diesem Qualifikationsschritt 2 erhält der Teilnehmer ein Personalzertifikat, in welchem ihm die Kompetenzen für die Umsetzung der ISO 31000 bzw. der ONR Serie 49000 attestiert werden.
Beachtenswert ist, dass ein grosser Teil der Ausbildungsteilnehmer Risikoeigner sind und damit nicht nur ein fachlicher, sondern auch ein verantwortungsbezogener Kompe-tenzaufbau erfolgt.
Wo steht die Schweiz?
Das Gesundheitswesen der Schweiz verfügt über eine hohe Versorgungssicherheit, welche allerdings auch zur Folge hat, dass wir über das teuerste Gesundheitswesen Europas verfügen. Die langfristig stetig steigenden Krankenversicherungsprämien werden zu einer volkswirtschaftlichen Belastung, welche irgendwann an Grenzen stösst.
In der Leistungsqualität befindet sich das Schweizer Gesundheitswesen im europäischen Vergleich im Mittelfeld. Der Aufbau einer breit abgestützten Sicherheitskultur durch die Ausbildung von Risikoeignern und Risikomanagern sowie die Einführung von verbindlichen Mindestanforderungen würde die Leistungsqualität wesentlich erhöhen. Dazu müssten auch einige institutionelle Rahmenbedingungen, insbesondere im rechtlichem Umfeld, angepasst werden. Dies zeigen leider immer wieder Schadenfälle im klinischen Betrieb allzu deutlich auf.