Hannes evaluiert bis zum Abwinken
Hannes ist gut vorbereitet für die gleich be-ginnende Geschäftsleitungssitzung. Für ein-mal ist er es, der ein Schlüsseltraktandum präsentiert. Es geht um die Evaluation eines neuen 3-D-Druckers in der Produktions abteilung im Bereich «Mikro-Technologie».
Hier werden Kleinstteile hergestellt, die oft in Europa geplant, aber in China «gedruckt» werden, damit sie dort für die konkrete Pro-duktion ein 1:1-Modell haben. Geschickt ge-nutzte Digitalisierung und Internet of Things sorgen dafür, dass das «Ding» dann völlig selbstständig arbeitet – das ist das Ziel.
3-D-Drucker in Evaluation
Bei aller Konzeptionierung und Software-Ent-wicklung bleibt am Ende des Tages die Be-schaffung von Hardware. Ein solcher Drucker muss her. Hannes hat aufgrund des Anforde-rungsprofils an das Gerät und den Budgetrah-men zehn Varianten getestet. Drei schlägt er für die engere Auswahl vor. Mit schicken CAD-Power-Point-Folien will er die Geschäftslei-tung davon überzeugen, dass sie heute einen Entscheid fällen muss, da die Beschaffung – wie alles in der letzten Zeit – zeitnah erfolgen muss. Der Markt lässt keine Zeit mehr, zumal bisher bereits vieles verschlafen wurde.
Hannes präsentiert euphorisch, die Zu-hörer nehmen es zur Kenntnis. Am Schluss stellt Hannes die Frage: Was meint ihr? Eigent-lich möchte er jetzt eine Diskussion über die Vor- und Nachteile der Geräte und dann ei-nen Entscheid. Der Geschäftsführer schweigt vor sich hin, die anderen auch.
Eigentlich kennen sich damit alle nicht aus, aber mitreden sollen und wollen doch al-le. Plötzlich meldet sich der HR-Vertreter und fragt, ob der Betriebsrat schon informiert sei? Auf das «Nein» von Hannes nicken alle er-leichtert: «Das müssten wir unbedingt noch tun, bevor wir einen Entscheid fällen.»
Die Geschäftsleitung entscheidet – noch nicht
Eine Woche später. Hannes hat die Einwilli-gung des Betriebsrates. Gleiches Prozedere, gleiches Resultat: Zuerst Schweigen, dann meint der Marketing-Chef: «Bei den Markt-analysen fehlt mir noch der Ausblick auf ex-pandierende, mögliche Märkte in Indien. Das müssten wir unbedingt noch haben.» Auch die anschliessende Szene gleicht sich. Alle sind erleichtert, dass sie noch nicht ent-scheiden müssen, und stimmen ab, dass Hannes im Konzept noch «Indien» erfor-schen muss.
In den nächsten beiden Wochen wie-derholt sich die Szenerie. «Wir sollten unbe-dingt noch abklären, dass wir ausschliesslich Lieferanten berücksichtigen, welche die Com-pliance bezüglich Kinderarbeit und Nachhal-tigkeit erfüllen. Dazu müssten wir von allen eine offizielle Anti-Korruptionsvereinbarung einfordern.»
Immer noch nicht
Hannes tut und macht wie geheissen. Das Ri-tual erkennt sich selber wieder, jedes Mal fehlt «nur noch» beziehungsweise «sollten wir noch», eine Woche später tauchen wie-der neue «Mängel» auf. Hannes ist langsam beunruhigt, laufen doch nicht nur die Kun-den davon, sondern stehen allmählich auch die ersten Werkmaschinen in Shanghai still, da sie weder Aufträge noch Mitarbeitende haben.
Heute ist darum so etwas wie «final briefing». Hannes hat die letzten Tage aus-schliesslich damit verbracht, alles nochmals durchzuchecken, abzugleichen und im Vor-feld alle Geschäftsleitungsmitglieder per Mail anzufragen, ob noch offene Fragen vorliegen. Von vier der fünf Kollegen erhält er keine Rückmeldung, eine Person antwortet mit «ich bin noch nicht dazugekommen, alles zu lesen, mache es aber bis Montag».
Und nochmals nicht
Zuversichtlich und guter Dinge präsentiert Hannes heute zum achten Mal das verbesser-te, unterdessen völlig verwässerte Evalua tionskonzept. Die Reaktion kennt er. Nie-mand muckst. Schliesslich meint der Ge-schäftsführer: «Das ist nicht Ihr Ernst, dass Sie
«Hannes präsentiert euphorisch, die Zuhörer nehmen es zur Kenntnis.»
uns dies jetzt so als definitive Auswahl vorle-gen?» Auf das «ja, doch» von Hannes meint er nur: «Hannes, jetzt sehen Sie sich doch mal das Logo an. Das ist oben rechts auf Ihrer Prä-sentation und wir haben unmissverständlich und klar in unseren CI-CD-Richtlinien fest-gehalten, dass das Logo immer unten links steht. Ich erwarte eine Korrektur.»
Vielleicht nie
So geht Hannes zufrieden des Weges mit dem Gefühl, dass die Welt eines Tages mit schönen Logos und Anti-Korruptionsvereinbarungen
vor dem bösen Markt gerettet wird.