Projektmanagement- Reife in Spitälern
An der Business School of Lausanne lernen die Masterstudenten in International Business in einem Semester das Projektportfoliomanagement und in einem weiteren Semester das Projekt- und Programm-Management kennen. Die Besonderheit dieses zweiten Kurses ist, dass sie nicht nur die Theorie lernen, sondern tatsächlich ein Programm starten und Projekte darin durchführen müssen. Ein solches Survey-Projekt befasste sich im Herbst 2019 mit dem Projektmanagement-Reifegrad in Spitälern.
Projektmanagement gliedert sich in Projektdefinition, Projektdurchführung und Projektabschluss. Gemäss DIN 69901 versteht man Projektmanagement als «Gesamtheit von Führungsaufgaben, -organisation, -techniken und -mittel für die Abwicklung eines Projekts». Die Aufgabe eines Projektmanagers besteht also darin, Projekte richtig zu planen und zu steuern. Damit sollen Risiken begrenzt und Chancen genutzt werden. Zudem sollen die Projektziele in der geforderten Qualität, termingerecht und im definierten Kostenrahmen erreicht werden.
Wie bei vielen anderen «schulmässigen» Definitionen besteht auch hier die eigentliche Komplexität in der praktischen Umsetzung. Organisationen benötigen dazu eine gewisse «Reife», so die Grundthese in der Forschungsarbeit der Studierenden der Business School Lausanne. Im Rahmen des Masterstudiengangs «International Business» (Programm «Management of Projects and Programs») haben sie in Zusammenarbeit mit QRP International und Profeo AG den Projektmanagement- Reifegrad in Schweizer Krankenhäusern untersucht. Dozentin und gleichzeitig Coach in diesem Programm war Claudia Kary. Sie war es auch, die die initialen Projekte identifiziert hat (Strukturierung eines Spitalevents zur Vorstellung der Resultate und für den Erfahrungsaustausch, Erarbeiten und Auswerten des Surveys, Vermarktung und Durchführung des Surveys bei den Spitälern). Ferner installierte sie für das Programm einen Studenten als Programm-Manager, der die Projektteams zusammenstellte. Claudia Kary führte die Studierenden durch die Schritte des Projektmanagements bis hin zum Abschluss und der Präsentation der Endergebnisse. Als «Kunde» – es brauchte jemanden, der die Anforderungen definieren musste – fungierte QRP, ein internationales Schulungsunternehmen unter anderem in den Bereichen Projektmanagement. Dieses Unternehmen hatte ein Portfolio an dedizierten Schulungen für Spitäler aufgebaut, führt regelmässig Spitalveranstaltungen und Erfahrungsaustausche durch und ist damit sehr erfolgreich in Belgien tätig. Sie wollte diesen Markt auch in der Schweiz erschliessen und hatte somit ein Interesse an den Ergebnissen, um ähnliche Aktivitäten auch in der Schweiz umzusetzen.
Ausgangslage und Fragestellungen
Weshalb gerade Krankenhäuser? Die Begründung liegt in der Tatsache, dass die 281 Schweizer Spitäler – öffentliche wie auch private – vor umfassenden Herausforderungen stehen. Immer mehr Initiativen müssen umgesetzt werden, die ein hohes Mass an Kompetenz im Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement erfordern. So geht es etwa um die Entwicklung und Einführung von anspruchsvollen und komplexen Geräten für Diagnostik und Therapie, die Einführung des Fallpauschalensystems SwissDRG mit der daran geknüpften neuen Spitalfinanzierung oder den Einsatz von KI-Systemen für die Prävention. Die für die Studie notwendigen Daten wurden zwischen Ende Mai und Ende Juli 2019 durch die Studierenden erhoben und in einer ersten Analyse aufbereitet. Um noch aussagekräftigere Ergebnisse zu erhalten, wurde die Umfrage bis September 2019 verlängert. Bei der Aufbereitung der Gesamtdaten leisteten die Firma QRP und weitere Fachexperten Unterstützung.
Für die Bewertung des Reifegrads wurde ein sechsstufiges Modell auf der Basis von P3M3® entwickelt:
- 0 Initial: Kein Bewusstsein für den Unterschied zwischen Projektmodus und Business as usual.
- 1 Awareness of Process: Die Organisation erkennt, dass spezielle Kompetenzen, Standards und Verfahren für eine erfolgreiche Durchführung von Projekten erforderlich sind.
- 2 Repeatable Process: Der Unterschied zwischen Projekt und Business as usual wird weitgehend verstanden. Eine Reihe von Aspekten des Projektmanagements wird höchstwahrscheinlich erfolgreich durchgeführt, jedoch fehlt es der Organisation noch an Konsistenz, und die Anwendung eines einheitlichen Vorgehens wird nicht vollständig durchgesetzt.
- 3 Defined Process: Die Standards, Prozessbeschreibungen und Verfahren sind klar definiert, dokumentiert und in das Unternehmen integriert.
- 4 Managed Process: Die Gesamtorganisation konzentriert sich darauf, Prozesse quantitativ zu steuern. Darüber hinaus wird das Topmanagement als Vorbild betrachtet, es versucht immer wieder, seine Bedürfnisse und Verbesserungspotenziale der Prozesse und Mitarbeiter weiter auszuloten.
- 5 Optimized Process: Optimierung der quantitativ geführten Prozesse durch die Gesamtorganisation, um die prognostizierten Geschäftsanforderungen und externen Faktoren zu berücksichtigen.
Darauf aufbauend wurde ein Fragebogen entwickelt, der dann den Krankenhäusern vorgelegt wurde. Die Befragung bestand sowohl aus Multiple-Choice- und offenen Fragen. Es wurden Modelle angewandt, die eine Verzerrung des Ergebnisses verhindern und keine Möglichkeit bieten, das Ergebnis positiv oder negativ zu beeinflussen. 102 Vertreter aus 46 Krankenhäusern in allen Schweizer Landesteilen haben die Umfrage abgeschlossen.
Grösseres Spital – besser ausgebautes Projektmanagement Die Auswertung der Ergebnisse zeigt, dass der Projektmanagement-Reifegrad mit der Grösse eines Krankenhauses korreliert: Je grösser ein Spital, desto besser ausgebaut ist sein Projektmanagement. Zurückzuführen ist dies wohl darauf, dass grössere Spitäler über mehr Mittel verfügen und in der Lage sind, ein eigenes Kompetenzzentrum für Projektmanagement aufzubauen. So verfügen einige grosse Spitäler über eigene Schulungsabteilungen resp. machen Schulungen in Projektmanagement für Projektbeauftragte zur Pflicht. Hinzu kommt ein Pool von professionellen Projektmanagern: Allein 44 Prozent der Befragten trugen den Titel eines Projektleiters, aber auch bei mittelgrossen Spitälern betrug der Anteil 41 Prozent. Dies lässt auf ein ebenfalls gut ausgebautes, aber gegenüber grösseren Krankenhäusern weniger ausgereiftes Projektmanagement schliessen.
Kleine Spitäler haben in den meisten Aspekten eine niedrigere Punktzahl als die Spitäler der anderen Kategorien, stellen die Studienautoren weiter fest. Als Hauptgründe führen sie an, dass kleine Krankenhäuser weniger Projektmanagementfachleute in ihrem Ressourcen-Pool aufweisen. Sie müssen also auf Spezialisten aus dem Unternehmen zurückgreifen, um Projekte zu leiten, wie z.B. Gesundheitsfachangestellte und anderes medizinisches Personal. Nur zwei der 15 Befragten aus kleinen Spitälern trugen den Titel «Projektleiter». Anzunehmen ist, dass dies nicht die einzige Rolle ist, die die betreffenden Mitarbeitenden tragen, sondern dass sie auch mit anderen Aufgaben betraut sind. Allerdings ist das Verständnis von Rollen und Verantwortlichkeiten in den kleinen Spitälern höher. Als möglicher Grund genannt wird, dass die Kommunikationswege kürzer und effizienter sind.
Privatspitäler: Fokus auf Stakeholderund Nutzenmanagement
Differenziert wurde in der vorliegenden Arbeit auch zwischen privaten und öffentlichen Krankenhäusern. Private Spitäler schneiden in allen Aspekten schlechter ab als öffentliche. Sie sind möglicherweise stärker betriebswirtschaftlich orientiert und investieren weniger in den Aufbau von Strukturen, die nicht direkt zum Erfolg des Spitales beitragen und scheinbar einen unnötigen und kostspieligen Overhead erzeugen, so die Interpretation der Studienautoren. In anderen Bereichen, etwa dem Stakeholder-Engagement und dem Nutzenmanagement, erzielen die privaten Spitäler aber nahezu die gleichen Ergebnisse wie die öffentlichen. Das dürfte mit einer stärkeren Aussenorientierung von Privatkliniken zu tun haben: Marketing ist für sie selbstverständlicher und dies spiegelt sich in einem guten Engagement verschiedener Interessengruppen wider. Ferner haben die Studienautoren aufgrund der Ergebnisse beobachtet, dass private Spitäler einen stärkeren Fokus darauf haben, welchen Beitrag Projekte für das Geschäft leisten. Mit anderen Worten: Projekte bei Privatspitälern sind möglicherweise häufiger kommerziell ausgerichtet als bei öffentlichen. Fazit: Noch mehr Ursachenforschung betreiben Die hier diskutierte Studie zeigt unterschiedliche Ergebnisse zum Reifegrad von Projektmanagement in Spitälern auf. Im Schnitt beträgt der Reifegrad 1,53; zum Vergleich: In anderen Industrien liegt der Wert zwischen 2 und 3. Angemerkt wird ferner, dass alle Ergebnisse eine grosse Streuung aufweisen – selbst innerhalb einzelner Krankenhäuser. Die Ursachen für die Unterschiede müssten nun weiter erarbeitet werden. Die Studienautoren schlagen hierzu etwa die Sichtung der Projektmanagementdokumentation, Workshops oder Interviews vor. Aus deren Ergebnissen könnten dann auch konkrete Handlungsempfehlungen an Spitäler ausgearbeitet werden.
Wie komplex Projektmanagement als Managementaufgabe ist, haben die Studierenden im Rahmen dieses Projekts zudem selbst erfahren. Umgang mit sich ändernden Anforderungen, Konflikte im Team, Termindruck und vieles mehr gehörte dazu, wie Claudia Kary zu berichten weiss. «Die Studierenden hatten bis anhin noch keine solche Erfahrung gemacht, in einem Team auf diese Weise zusammenzuarbeiten. Die einen haben es gehasst, die anderen geliebt, aber in den abschliessenden Einzelgesprächen war absolut erstaunlich, was jeder Einzelne von ihnen gelernt hatte.» Das Programm wurde weitergeführt, um aufgrund der Resultate Initiativen zur Verbesserung der Projektmanagement- Reife umzusetzen.