Probleme mit System lösen

Wenn Unternehmen agiler werden und sich kontinuierlich verbessern möchten, müssen ihre Mitarbeiter lernen, eigenständig Probleme zu erkennen und zu lösen. Ein smartes Hilfsmittel hierbei ist der PDCA-Zyklus, auf dem auch der A3-Report basiert.

Probleme mit System lösen

Viele Projekte zum Verankern einer Kultur der kontinuierlichen Verbesserung in Unter-nehmen scheitern daran, dass den Mitarbei-tern auf der operativen Ebene Werkzeuge feh-len, um parallel zum Tagesgeschäft die ange-strebten Veränderungen zu realisieren. Doch solche Instrumente existieren. Eines von ihnen­ ist der A3-Report, der auf Wirtschafts-ingenieur Joseph M. Juran zurückgeht. Er empfahl in den 1950er-Jahren japanischen Topmanagern, Problemlösungen, Entschei-dungsgrundlagen und Strategien auf einem Blatt Papier darzustellen – aus Gründen der Übersicht. Toyota folgte diesem Rat und wähl-te hierfür Papier im DIN-A3-Format: Der A3-Report war geboren.

 

Der A3-Report gibt den Mitarbeitern ­eine Schablone an die Hand, welche Analyse-und Handlungsschritte beim Lösen eines Pro-blems zu durchschreiten sind. Und diesem Prozess liegt wiederum ein systematisiertes Vorgehen zugrunde: der sogenannte Plan-Do-Check-Act-Zyklus, kurz PDCA-Zyklus ge-nannt. Diesen durchlaufen die Arbeitsteams stets, wenn sie ein Problem oder eine relevan-te Verbesserungschance erkannt haben. Dann wird jeweils ein neuer PDCA-Zyklus gestartet, mit dem Ziel, einen neuen Standard im Unter-nehmen zu etablieren, der als Basis für weitere Verbesserungen dient. Wie die Arbeit mit dem PDCA-Zyklus funktioniert, sei an einem ano-nymisierten und vereinfachten Fallbeispiel illustriert.

Ein anonymisiertes Fallbeispiel
Im Sommer 2016 verabschiedete der Vorstand eines Flaschenherstellers eine neue Strategie, um die Qualitätsführerschaft des Unterneh-mens bei der Flaschenproduktion weiter aus-zubauen und die Kundenzufriedenheit zu er-höhen. Ausgehend von dieser Vision definier-te das Managementteam sogenannte Durch-bruchziele für das Realisieren der Strategie. Sie lauteten für die Produktion:

 

  • Die Produktionsverfahren müssen dem neusten Stand der Technik entsprechen.
  • Die Arbeit muss sich am Null-Fehler-Prinzip orientieren. Und:
  • Das Streben nach Verbesserung muss sich in den Genen der Mitarbeiter verankern. Diese

 

Ziele wurden in Meetings auf alle Ebenen heruntergebrochen. Ausserdem wur-den die Führungskräfte zu Kata-Coaches aus-gebildet, die ihre Mitarbeiter beim Analysie-ren und Lösen neuer Aufgaben und Probleme unterstützen – so auch der Abteilungsleiter Flaschenfertigung Claus Schmitt und seine Gruppenleiterin Etikettierung Karla Haas.

 

Bei einem ihrer Meetings im Januar 2017 wies Abteilungsleiter Schmitt die Gruppenlei-terin darauf hin, dass die von ihr betreuten fünf Etikettierlinien weniger als die angestreb-ten 25 000 Flaschen/Tag produzieren, was zu Lieferengpässen und Unzufriedenheit bei Kunden führt. Er bat sie, das Problem zu lösen.

PDCA-Phase 1: Plan!
Daraufhin analysierte Frau Haas die Produkti-onszahlen der zurückliegenden Wochen und stellte fest: Die von Teamleiter Heinz May be-treute Etikettierlinie lieferte statt 5 000 im Schnitt nur 4 200 Flaschen pro Tag aus. Also traf sie sich mit Teamleiter May und bat ihn, Vermutungen über die Problemursachen zu äussern. Seine Vermutung: Es liegt am hohen Ausschuss. Also schauten sich die beiden die aussortierten Flaschen an und registrierten: Bei fast allen Ausschussflaschen sind die Eti-ketten faltig und schief angebracht.

 

Frau Haas fragte Herrn May, was die Ursachen hierfür sein könnten. Seine Vermutung: Die gelieferten Etiketten sind nicht okay. Ein Anruf bei der Eingangsprüfung ergab: Sie sind okay. Also war klar: Beim Etikettieren selbst läuft etwas schief. Herr May schaute sich daraufhin in den Schichtberichten die Ausschusszahlen an. Dabei zeigte sich: Über 80 Prozent der Ausschussflaschen werden in der Nachtschicht produziert.

 

Also beobachteten die Gruppenleiterin und der Teamleiter in einer Nachtschicht den Etikettierprozess. Dabei stellten sie fest: Das Etikettierband staut sich zuweilen in der Spen-derstation, und deshalb werden die Etiketten schief aufgebracht. Als Ursache vermutete Herr May: Das Etikettierband wird von einigen Mitarbeitern beim Wechseln falsch eingefä-delt. Damit stand für ihn die Kernursache des Problems fest.

 

Also bat Frau Haas Herrn May, ein Ziel für eventuelle Gegenmassnahmen zu formu-lieren. Mays Antwort: Das Ziel sei doch klar, den Ausschuss zu reduzieren. Seine Vorgesetz-te erinnerte ihn daran, dass Ziele «smart» – also auch messbar und terminiert – sein sollten. Daraufhin formulierte Herr May das Ziel neu: Die Ausschussquote der Nachtschicht soll in acht Wochen, am 31. März, 50 % niedriger sein – und dieses Ziel wolle er durch ein Schulen der neuen Mitarbeiter erreichen. Damit war die Sache für ihn erledigt.

PDCA-Phase 2: Do!
Anders für Frau Haas. Sie fragte den Teamlei-ter, ob er genau wisse, wie die Mitarbeiter beim Rollenwechsel vorgingen; ausserdem, ob es eine­ schriftliche Beschreibung gebe, wie dieser zu erfolgen habe – auch zum Einarbeiten neu-er Mitarbeiter. Mays Antwort auf beide Fragen: Nein.

 

Also schauten sich Haas und May in ­einer weiteren Nachtschicht den Rollen-wechsel durch erfahrene und unerfahrene Mitarbeiter an. Dabei registrierten sie Unter-schiede: Die erfahrenen Mitarbeiter achteten darauf, dass das Etikettenband beim Wechsel den Boden nicht berührte; bei den unerfahre-nen schleifte es oft auf dem Boden. So sam-melte sich allmählich Schmutz im Etiketten-spender, sodass sich das Band von Zeit zu Zeit verhakte, und dies führte zu den Ausschuss-flaschen.

 

Frau Haas bat den Teamleiter, sich mit seinem Team Gegenmassnahmen zu überle-gen, diese zu priorisieren und einen Aktions-plan zu erstellen. Die Massnahmen lauteten unter anderem:

 

  • Der Boden wird alle zwei Stunden gereinigt.
  • Auf dem Boden vor dem Etikettenbandabwickler wird ein Gitterrost montiert, durch den eventueller Schmutz fallen kann
  • Herr May definiert schriftlich den idealen Prozessablauf beim Rollenwechsel und schult seine Mitarbeiter diesbezüglich.

 

Aufgrund der Priorisierung erstellten die Teammitglieder einen Massnahmenplan. Ausserdem vereinbarten sie:

 

  • Der aktuelle Status des Projekts wird bis En-de März stets an der Shopfloor-Tafel der Eti-kettierlinie dokumentiert, und
  • hierüber wird regelmässig in der täglichen Shopfloor-Runde des Teams gesprochen.

 

PDCA-Phase 3: Check!
In den folgenden Wochen trafen sich Frau Haas und Herr May wöchentlich, um die Ent-wicklung der Ausschusszahlen zu studieren. Zudem definierten sie aufgrund der gesam-melten Erfahrungen weitere Massnahmen. Das führte dazu, dass am 31. März der Aus-schuss um fast 70 Prozent gesunken war. Das geplante Ziel wurde somit übertroffen.

 

Frau Haas gratulierte Herrn May zu dem Erfolg und bat ihn, eine Einschätzung von des-sen Wirkung hinsichtlich der Kunden, der Fla-schenfabrik und seiner eigenen Person vorzu-nehmen; ausserdem ihr die Gründe für den Erfolg zu nennen. Herr May antwortete: Der Rollenwechsel sei nun prozesssicher. Das füh-re zu weniger Reklamationen und die Fla-schenfabrik spare wegen des geringeren Aus-schusses Geld. Zudem sei durch die Problem-lösung sein Selbstvertrauen gestiegen, auch andere Probleme anzugehen – um den Aus-schuss gemäss dem Null-Fehler-Prinzip weiter zu senken.

 

Als Gründe für den Erfolg nannte Herr May: Durch das sehr strukturierte Vorgehen sei die Kernursache des Problems ermittelt so-wie eine pragmatische und nachhaltige Lö-sung gefunden worden – auch weil alle Mitar-beiter ihre Erfahrungen in den Verbesserungs-prozess einbrachten.

PDCA-Phase 4: Act!
Nach dieser Einschätzung fragte Frau Haas den Teamleiter, was er hinsichtlich einer Standardisierung tun wolle. Er erwiderte, er werde eine schriftliche Beschreibung des op-timalen Prozesses «Wechsel des Etiketten-bands» erstellen – auch für das Einarbeiten neuer Mitarbeiter. Ausserdem werde er fortan täglich eine Prozesskontrolle durchführen, um Soll-Ist-Abweichungen früher zu erken-nen.

 

Frau Haas lobte Herrn May hierfür und bat ihn, im nächsten Teamleiter-Meeting die Teamleiter der vier anderen Etikettierlinien über den neuen Standard und die Erkenntnis-se in dem PDCA-Problemlösungsprozess zu informieren, damit sie von den Erfahrungen lernen. Sie selbst informierte ihren «Chef» – den Abteilungsleiter Flaschenfertigung: Das Problem «zu geringe Flaschenproduktion» ist gelöst.

Führungskräfte haben Schlüsselfunktion
Das Bearbeiten und Lösen von Problemen mit dem PDCA-Zyklus, wie im Fallbeispiel beschrieben, erfordert von allen Beteiligten spezielle Fähigkeiten – insbesondere von den Führungskräften. Sie müssen

 

  • sich als Coach und Lernbegleiter ihrer Mit-arbeiter verstehen und
  • bereit sein, sich intensiv mit den wertschöp-fenden Prozessen zu befassen.

 

Hierfür gilt es, sie zu schulen. Sonst zeigt sich rasch ein Problem, das man oft bei Unter-nehmen, die den PDCA-Zyklus ohne eine Schulung ihrer Führungskräfte einsetzen, re-gistriert: Sie sind zwar gut in den Phasen «plan» und «do» des PDCA-Prozesses, haben aber Schwierigkeiten bei den Phasen «check» und «act» – also dann, wenn es darum geht,

 

  • aus den ersten Initiativen die erforderlichen Schlüsse zu ziehen und
  • aus den Erfahrungen im Projekt neue Stan-dards abzuleiten und diese im Unterneh-men zu etablieren.

 

Die zentrale Ursache hierfür: Die Füh-rungskräfte haben noch nicht verinnerlicht, dass sie primär Coaches und Lernbegleiter ­ihrer Mitarbeiter sind. Deshalb geben sie ­ihnen in den Phasen «plan» und «act» oft noch (unbe-wusst) die Lösung des Problems vor. Darum finden bei den Mitarbeitern keine Lernprozes-se statt – weshalb auch ihre Problemlöse­ kompetenz nicht steigt.

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