Medizinprodukte- Regulierung MDR: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

Dank der Corona-Krise erhalten Schweizer Medtech-Unternehmen mehr Zeit, um sich für die Medizinprodukte-Regulierung der EU (Medical Device Regulation, MDR) zu rüsten. Die Erfüllung dieser Regulierung ist Voraussetzung, dass Schweizer Medizinprodukte überhaupt in der EU abgesetzt werden können. Doch noch nicht vollständig nachgeführt ist das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen zwischen der Schweiz und der EU.

Medizinprodukte wie künstliche Hüftgelenke oder Brustimplantate aus Silikon gerieten in der Vergangenheit wiederholt ins Zwielicht: Fehlerhafte Produkte – so mussten verschiedenen Patientinnen undichte Silikon- Brustimplantate wieder entfernt werden – sorgten für Unsicherheit sowohl bei Ärzten wie auch bei Patienten. Am Pranger standen nicht nur die Hersteller von qualitativ fragwürdigen Produkten, sondern auch Prüfstellen, welche diese Produkte mit dem CE-Gütesiegel ausgestattet hatten. Diverse Schadenersatzforderungen, die z.B. von betroffenen Patientinnen wegen der undichten Silikonkissen erhoben worden sind, sind derzeit vor Gerichten noch hängig.

Der Gesetzgeber im Dienst der Patientensicherheit

Hellhörig wurde natürlich auch die Politik. Die EU-Kommission hat bereits 2012 Entwürfe für Verordnungen vorgestellt, die einerseits Medizinprodukte (Medical Devices Regulation, MDR), anderseits In-vitro-Diagnostika (In Vitro Diagnostic Medical Devices Regulation, IVDR) im Fokus hatten. Das Ziel: Qualität und Sicherheit von Medizinprodukten sollten verbessert und daraus folgend die Patientensicherheit erhöht werden. Dies geht mit einer Verschärfung der Regulierungsanforderungen. So müssen Hersteller etwa für alle ihre Produkte noch detailliertere klinische Bewertungen als bisher vorlegen können. Oft bedingt dies eigene klinische Studien. Zudem müssen Hersteller regelmässig Sicherheitsberichte zu ihren Produkten erstellen. Die Liste von Medizinprodukten, die durch Bewertungsstellen geprüft werden müssen, wurde ebenfalls erweitert. Und die Bewertungsstellen müssen, im Gegensatz zu früher, zusätzliche Anforderungen erfüllen. Nicht zuletzt muss eine eindeutige Identifizierung sowie eine lückenlose Rückverfolgbarkeit der Produkte gewährleistet sein. Die relevanten Daten sind in einer neu geschaffenen Datenbank (EUDAMED 3) für das Publikum ersichtlich.

Corona bringt Fahrplan durcheinander

Die Verordnungen wurden von der EU 2017 verabschiedet und sollten nun im Mai 2020 nach Ablauf von diversen Übergangsfristen endgültig in Kraft treten. Infolge der Corona- Krise hat das EU-Parlament aber entschieden, den Geltungsbeginn der MDR um ein Jahr auf 26. Mai 2021 zu verschieben. Nicht betroffen davon ist die IVDR; diese soll planmässig ab Frühjahr 2022 gelten. Was heisst das nun für die Schweiz mit ihrer starken und dabei exportorientierten Medtech-Branche? Zwischen der Schweiz und der EU besteht bekanntlich das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (Mutual Recognition Agreement, MRA). Das heisst, die schweizerischen gesetzlichen Regelungen müssen gleichwertig mit jenen der EU sein. In diesem Zusammenhang hat die Schweiz denn auch die Revision der Medizinprodukteverordnung (MepV) vorgezogen. Auch das Heilmittelgesetz (HMG) sowie das Humanforschungsgesetz (HFG) wurden so angepasst, dass nun Konformität mit dem EU-Recht herrschen kann. Ursprünglich hätten gemäss der Bundesverwaltung die vom Parlament im März 2019 verabschiedeten Änderungen des HMG und HFG sowie die Verordnungen per 26. Mai 2020 in Kraft gesetzt werden sollen. Bezüglich der weiteren Schritte heisst es auf der Website des Bundesamts für Gesundheit (BAG), dass aus «Kohärenzgründen» die «Inkraftsetzung der neuen Bestimmungen in der Schweiz schrittweise» erfolge. Die Ausnahmeregelungen für das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Medizinprodukten, die kein Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen haben, sind seit 1. August 2020 in Kraft. Damit werde es ermöglicht, wenn dies im Interesse der öffentlichen Gesundheit liege, auch die Inverkehrbringung und Inbetriebnahme von Medizinprodukten ohne Konformitätsbewertung zu erlauben. Und weiter schreibt das BAG: «Die wichtigsten Bestimmungen, die unter anderem die Auflagen für die Markteinführung, die Marktüberwachung oder die neuen Anforderungen an klinische Versuche betreffen, treten am 26. Mai 2021 in Kraft.»

Letzte Lücken schliessen

Die Schweizer Medtech-Branche gewinnt nun Zeit, um sich auf die EU-Regelung besser vorbereiten zu können. Denn eine Umfrage des Branchenverbands Swiss Medtech hat gezeigt, dass 28 Prozent der Schweizer Hersteller für den ursprünglichen Geltungsbeginn der MDR noch nicht bereit gewesen wären. Bis im Mai 2021 sollte aber der Grossteil der Branche die Umstellung schaffen. Bis dahin gilt allerdings noch eine Rechtsunsicherheit: Aus EU-Sicht ist die Schweiz derzeit ein «Drittstaat», weil sie die gegenseitige Anerkennung der Konformitätsbewertung noch nicht aktualisiert hat. Swiss Medtech ruft den Bundesrat deshalb auf, das MRA rasch nachzuführen. «Die Medizintechnik ist eine gesunde und innovative Branche mit grosser volkswirtschaftlicher Bedeutung. Die Schweiz ist einer der weltweit attraktivsten Medizintechnik-Standorte. Die anhaltende Rechtsunsicherheit gefährdet die Investitionsattraktivität massiv. Wir erwarten vom Bundesrat, dass er sich mit all seinen Möglichkeiten für die Aufrechterhaltung des direkten Zugangs zum EU-Binnenmarkt einsetzt», sagt Peter Biedermann, Geschäftsleiter von Swiss Medtech. Gefordert ist nun der Gemischte Ausschuss Schweiz – EU, der das MRA jeweils verhandelt und völkerrechtlich festhält. Die Federführung bei diesem Prozess liegt beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco).

ISO-Norm trägt neuer Regulierung Rechnung

Medizinprodukte und deren klinische Prüfungen sind nun mal stark reguliert. Hilfestellung für die Hersteller bietet hier etwa die Norm ISO 14155 (Klinische Prüfung von Medizinprodukten an Menschen – Gute klinische Praxis), die kürzlich überarbeitet worden ist. Die in der gesamten Branche weit verbreitete Norm wurde an die jüngsten regulatorischen Änderungen und Änderungen anderer relevanter Normen angepasst. Sie enthält nun eine Vielzahl zusätzlicher Details und Informationen, die dazu beitragen sollen, Teilnehmer an klinischen Prüfungen und Anwender von Medizinprodukten zu schützen und solide Ergebnisse zu erzielen, wie es seitens der ISO heisst. Ein besonderer Schwerpunkt liegt etwa auf dem Risikomanagement während der gesamten Studiendauer, indem eine enge Beziehung der ISO 14155 zur ISO 14971 (Medizinprodukte – Anwendung des Risikomanagements auf Medizinprodukte) beschrieben wird. Auch wurde ein Verweis auf die Pflicht einer Registrierung der klinischen Prüfung in einer öffentlich zugänglichen Datenbank aufgenommen, ebenfalls erfolgte ein Einbezug des klinischen Qualitätsmanagements sowie der Einbezug einer risikobasierten Überwachung. Danielle Giroud, Sprecherin der ISO-Experten-Arbeitsgruppe, die den Standard entwickelt hat, sagte, die Patientensicherheit stehe immer im Mittelpunkt. «Dies bedeutet mehr Details über Aspekte wie informierte Einwilligung, gefährdete Bevölkerungsgruppen, Datenschutz und statistische Überlegungen, die alle zu einer sichereren klinischen Untersuchung mit solideren Beweisen führen.»

 

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