Wie hoch ist der Preis eines Wirbelsturms?
Extremwetterereignisse bringen grosse Zerstörung. Teilweise mit digitalen Modellen versuchen Versicherer, die Folgen ein-zuschätzen. «Dabei», so heisst es im Jahresbericht 2018 des Schweizerischen Versicherungsverbands (SVV), «spielt die Klimaerwärmung kaum eine Rolle für die Preisfestsetzung. Noch nicht.» Allmählich jedoch kalkulieren die Versicherer nachhaltige, sogenannte ESG-Kriterien mit ein.
Die Modelle der Versicherer basieren auf Daten der Vergangenheit, kombiniert mit den aktuellsten Erkenntnissen aus der Forschung. «Wir schauen auch ganz alte Publikationen und Daten an», sagt Thier-ry Corti, Head of Sustainability Risk Management bei Swiss Re.
«Wir haben Jahrzehnte von Überlegungen zur Klimaverände-rung.» Das bedeute aber nicht, dass es möglich ist, die durch die Kli-maerwärmung verursachten Schäden zu beziffern. Es sei kaum mög-lich, aus dem Schadenverlauf eines Hurrikans nur einen Faktor zu isolieren. «Vor zehn Jahren war die Welt anders», betont der Versiche-rungsexperte.
«Seit ein paar Jahren drängen die Menschen immer weiter in Gebiete wie Küstenregionen, die exponiert für Naturgewalten sind. Landstriche werden mit Häusern und Strassen zubetoniert, sodass das Wasser bei Starkregen kaum noch abfliessen kann», erklärt auch Lucia Bevere, Senior Catastrophe Data Analyst bei Swiss Re, die Gewichtung neuer Versicherungsanalysen.
Die wirtschaftliche Entwicklung einer Region bringt höhere Vermögenswerte. Dies beeinflusse im Fall einer Katastrophe die Scha-densumme. Deswegen lassen sich steigende Schadensummen nicht einfach auf den Klimawandel zurückführen.
Doch wenn auch eine eigentliche Verantwortung für bisherige Katastrophen nie ganz bezifferbar bleibt: Die immensen Schäden, die Naturkatastrophen verursachen, machen den Klimawandel zwangs-läufig für Versicherer zum Thema.
Der Weg des Windes
«Andrew» begann als tropische Welle und brachte Zerstörung über Florida. Der Hurrikan verursachte 1992 26,5 Milliarden Dollar Sach-schäden. 7,3 Milliarden Dollar waren von Versicherern gedeckt. «An-drew» zeigte, dass Hurrikans zu den verheerendsten Naturkatastro-phen gehören. «Dieses Ereignis», lautet die Einleitung im SVV-Jahres-bericht von 2018, «war der Auslöser für Versicherer, Risikomodelle für Naturkatastrophen zu entwickeln.»
«Als Versicherer müssen wir dem Risiko einen Preis geben.»
«Hunderttausende mögliche Hurrikans und ihre wahrscheinli-chen Wege berechnen wir», sagt Lucia Bevere. Mit diesen hypotheti-schen Ereignissen modellieren die Analysten beim Rückversicherer Szenarien, um die Auswirkungen auf das Portfolio abzuschätzen: Was ist der zu erwartende Schaden und mit welchen finanziellen Folgen ist zu rechnen?
«Als Versicherer müssen wir dem Risiko einen Preis geben», sagt die Analystin. Der Preis wird jedes Jahr neu ermittelt. «Wir passen den Preis jedes Jahr den neuen Realitäten an und können so jeweils das ak-tuelle Risiko bestmöglich abbilden», sagt sie. Neuste Erkenntnisse der Klimaforschung würden einfliessen. Kurzfristige Veränderungen beim Klima berücksichtigen die Analysten ebenso wie die Schaden-entwicklung nach katastrophalen Ereignissen.
Aufgrund der kurzen Laufzeit von einem Jahr spielen die Lang-zeitrisiken der Klimaveränderung bei der Preisbildung aber keine direkte Rolle.
«Ob wir mit einem 0,5-Grad- oder einem 5-Grad-Szenario rech-nen, spielt für die Preisbildung der nächsten Erneuerungsrunde kaum eine Rolle», ergänzt Thierry Corti, Head of Sustainability Risk Ma-nagement beim Rückversicherer. Die Auswirkungen in den nächsten 15 Jahren unterscheiden sich für die beiden Szenarien nur wenig. Erst anschliessend driften diese auseinander. «Dies liegt daran, dass die Entwicklung der kommenden Jahre die Folgen der Emissionen der vergangenen Jahre sind.»
Klimaexperten für immense Ereignisse
Naturkatastrophen sind ein Risiko. Und die Klimaerwärmung hat einen Einfluss im Versicherungswesen. «Die Klimaveränderung muss ernst genommen werden», meint Corti. «Diese zu ignorieren ist keine Option.»
Immerhin seien die Versicherer in einer privilegierten Situa tion: «Die Analyse von Katastrophen ist unser Business», sagt er. «Wir denken an das Risiko, wir überlegen, was falsch gehen könnte.»
Mit ihren Modellen können die Versicherer in Szenarien be-rechnen, was passieren könnte. Corti: «Wir können Aussagen machen, was etwa für ein Portfolio zu erwarten ist, wenn der Meeresspiegel zum Beispiel um einen Meter steigt.» Dieses Wissen macht Versiche-rer zu idealen Partnern bei Fragen zur Klimaveränderung.
«Wir sind neutral, wir sind die Risikonehmer», erklärt Thierry Corti. Wenn eine Küstenregion nicht mehr versicherbar ist, kann dies fatale Auswirkungen für die Direktbetroffenen haben. «Für uns hin gegen ist es ein Markt, der verloren gehen würde.» Diese objektive
Distanz ermöglicht eine ausgewogene Einschätzung.
«Mit unseren Klienten betrachten wir Langzeitszenarien. Dabei können wir nicht nur auf ein bestimmtes Szenario wetten», so Corti. Beispielsweise kann die Analyse zeigen, dass ein Klient ein Problem bekommen könnte, weil er zu stark in einer Küstenregion exponiert ist. Hier können die Rückversicherer beraten. Etwa ist es möglich, dass erst bauliche Massnahmen notwendig sind, damit ein Standort wie-der versicherbar wird.
Katastrophenmodelle für die Schweiz
Auch für die Schweiz gibt es Katastrophenmodelle. «Wir haben bei-spielsweise Modelle für Winterstürme oder Hagelstürme», so Corti. Denn auch die Schweiz wird mit spürbaren Veränderungen rechnen müssen:
Trockene Sommer, heftige Niederschläge, mehr Hitzetage, schneearme Winter: Die Klimaszenarien CH2018 des National Centre for Climate Services (NCCS) zeigen, wie sich der Klimawandel bis 2060 auswirken kann. Eine zusätzliche Erwärmung in der Schweiz bis Mitte des Jahrhunderts von 0,5 bis 1,5 Grad ist wahrscheinlich. Und das ist das positive Szenario. Dieses ist zu erwarten, wenn effekti-ve Klimaschutzmassnahmen ergriffen werden. Ohne diese Massnah-men ist von einer Erwärmung von 2,5 bis 4,5 Grad auszugehen.
Parametrische Versicherungen
Für Wirtschaft und Gesellschaft wird es wichtig sein, dass die Ver sicherer ihre Modelle weiterentwickeln, auch in Abhängigkeit von weiteren Faktoren wie «Urbanisierung». Die Branche, so heisst es im SVV-Jahresbericht 2018 abschliessend, muss sich an die veränderten Gegebenheiten anpassen. Neue Produkte wurden inzwischen von Swiss Re lanciert. So können sich Staaten heute gegen Klimakatastro-phen wie Dürren versichern.
Mit sogenannten «parametrischen Versicherungen» könne schnell und unbürokratisch geholfen werden. Der Vorteil dieser Pro-dukte ist, dass nicht erst ein Schaden beurteilt werden muss. Die Aus-zahlung erfolgt in Abhängigkeit von einem Parameter wie etwa der Niederschlagsmenge. Von Pandemiekatastrophen hingegen weiss man, dass eine schnelle Hilfe einen grösseren Schaden verhindern kann.
«Das Schwierige war, die richtigen Parameter zu definieren, da-mit das Geld ausbezahlt wird, wenn es benötigt wird», unterstreicht Thierry Corti. «Doch heute gehört dies zu unserem Standardangebot.» Nur: langfristige Versicherungen gegen den Klimawandel wird es nicht geben. Für Thierry Corti macht das keinen Sinn. Er hat auch ein schlagendes Argument hierfür: «Eine solche Versicherung würde die Motivation nehmen, den Klimawandel einzudämmen.»