100 Jahre SNV und ein Blick in die Zukunft
Das 100-Jahr-Jubiläum der SNV liess ganze zehn Dekaden Normungsarbeit und -entwicklung nochmals aufleben. Die SNV hat während der letzten 100 Jahre wertvolle und nachhaltige Beiträge geleistet, sodass die unternehmens- und länderübergreifende Zusammenarbeit stetig optimiert werden konnte.
Vieles hat sich in 100 Jahren verändert, die SNV ist beinahe gleich geblieben. Sie engagiert sich genau wie früher mit grossem Engagement für Themen, die relevant sind für die Zukunft. Die Programme Manager der SNV stellen sicher, dass Themen wie Food-Authenticity, Blockchain, Energie, Kreislaufwirtschaft oder Additive Manufacturing auf die Bedürfnisse von Wirtschaft und Gesellschaft ausgerichtet werden.
Programme Manager werfen einen Blick in die Zukunft
Aufgabe der SNV „Programme Manager“ ist es, Zukunftstrends zu erkennen und Normungsprojekte von Beginn an zu koordinieren. Sie organisieren Kick-off-Meetings, akquirieren Expertinnen und Experten, erklären den interessierten Kreisen den Normungsprozess und begleiten die Projektarbeit des Komitees, das je nach Thema aus rund 10 bis 50 Fachleuten besteht und sich meist einmal pro Jahr trifft. Sie sind für das Stakeholder-Management verantwortlich und vernetzen relevante Expertinnen und Experten. Ziel der Programme Manager ist es, den Silo-Gedanken zu überwinden und die verschiedenen Beteiligten an einen Tisch zu bringen.
An welchen Zukunftsthemen arbeiten die „Programme Manager“? Vier Programme Manager und ihr Vorgesetzter sprechen über einige der von ihnen betreuten Themen und werfen einen Blick in die Zukunft:
Lea Leibundgut, Programme Manager Lebensmittel
Sie betreuen das Thema Food-Authenticity. Seit wann wird an Normen dazu gearbeitet?
Lea Leibundgut: Bei ISO existiert ein technisches Komitee, das sich schon seit 1947 mit Lebensmitteln befasst. Das Komitee sowie seine Untergruppen haben bereits 858 Normen publiziert. Seit 2016 beschäftigen sich internationale Expertinnen und Experten innerhalb der europäischen Normenorganisation CEN mit der Thematik Food-Authenticity.
In diesem Themenfeld wird nicht nur an einer einzelnen, sondern an einer ganzen Serie von Normen gearbeitet: Jedes Lebensmittel unterscheidet sich in seiner Zusammensetzung von den anderen. Bei Lebensmittelfälschungen weiss man teilweise nicht einmal genau, wonach man sucht, anders als bei Pestizidrückständen oder anderen Kontaminanten wie zum Beispiel Metallen.
Was ist das Ziel Ihrer Arbeit?
Das Ziel im Themenfeld Food-Authenticity ist die Erarbeitung von Normen zu Methoden für den Authentizitätsnachweis von Lebensmitteln. Diese Normen sollen Klarheit und Transparenz darüber schaffen, wie der Nachweis der Authentizität gewährleistet werden kann. So können die hiesigen Produzentinnen und Produzenten sicher sein, dass ihre Rohwaren und Halbfabrikate keine Fälschungen sind, und auch die Konsumentinnen und Konsumenten können sich darauf verlassen, dass beispielsweise ihr Olivenöl «Extra Vergine» kein Öl aus Warmpressung enthält.
Warum ist Ihr Thema zukunftsrelevant?
Ernährung meint in der westlichen Welt nicht bloss das Stillen von Hunger. Ernährung bedeutet Genuss und ist identifikationsstiftend wie beispielsweise vegetarische oder vegane Ernährung. Schweizerinnen und Schweizer sind bereit, mehr Geld für bessere Qualität auszugeben. Gefälschte Lebensmittel können zudem nicht nur von minderer Qualität, sondern auch gesundheitsgefährdend sein. Mit der Globalisierung kommen immer mehr Roh- und Halbfabrikate von weit her, die Käuferinnen und Käufer kennen die Verkäuferinnen und Verkäufer nicht persönlich. Statt blindes Vertrauen wollen beide Seiten Sicherheit darüber, dass sie das erhalten, wofür sie bezahlen. Auch werden bereits Blockchain-Lösungen für die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln angeboten.
Wo sehen Sie die grösste Herausforderung?
Es müssen zuverlässige und aussagekräftige Testmethoden für diverse Lebensmittel gefunden werden. Zudem sollten diese Testmethoden in der Anwendung kostengünstig sein.
Melanie Hasler, Programme Manager Blockchain
Sie betreuen das Thema Blockchain. Seit wann wird an Normen dazu gearbeitet?
Melanie Hasler: Das ISO/TC 307 Blockchain and distributed ledger technologies (DLT) wurde im Jahr 2016 gegründet. Seither arbeiten 43 Länder aktiv bei der internationalen Normung mit. Auch die Schweiz zählt hier dazu. 13 Länder sind als «Beobachter» in das Komitee eingebucht. Seit der Gründung wurde der Technical Report «Blockchain and Distributed Ledger Technologies — Overview of and Interactions Between Smart Contracts in Blockchain and Distributed Ledger Technology Systems» veröffentlicht. Zehn weitere internationale Normungsprojekte werden zurzeit entwickelt.
Vergangenen Monat wurde auch in Europa ein Technical Committee (TC) zum Thema Blockchain/DLT gegründet. Das Europäische Komitee wird seinen Fokus vor allem auf die Vereinbarkeit der neuen Technologie mit den Vorgaben der europäischen Gesetzgebung wie zum Beispiel der Datenschutz-Grundverordnung (GDPR) richten. Die ersten zwei Arbeitsgruppen innerhalb des TC werden sich mit der anspruchsvollen Thematik Blockchain/DLT und GDPR sowie Electronic Identity (e-ID) befassen.
Auf nationaler Ebene wurde in diesem Monat das Normungsprojekt DLT-for-Power lanciert. Dieses wird von der Schweizer Energiebranche zusammen mit der SNV geführt und wird ein «DLT-based Power Management and Accounting System» definieren. Die Standardisierung der DLT-basierten Kommunikationsplattform soll die Kompatibilität der diversen DLT-Applikationen unter allen beteiligten Akteuren ermöglichen. Die Teilnahme und Mitarbeit steht allen interessierten Kreisen offen.
Was ist das Ziel Ihrer Arbeit?
Interoperabilität zwischen verschiedenen Anbietern, Plattformen und Anwendungen ist hier sehr wichtig. Die Normung im Bereich Blockchain/DLT trägt dazu bei, dass Produzentinnen und Produzenten, Konsumentinnen und Konsumenten, Wirtschaft und Gesellschaft die Sicherheit haben, dass die von ihnen eingesetzte oder entwickelte Technologie auch eine Zukunft hat und dass sie mit anderen Systemen kompatibel ist oder sein wird.
Warum ist Ihr Thema zukunftsrelevant?
Mit der digitalen Währung Bitcoin wurde die Blockchain als Ausgestaltung der sogenannten Distributed-Ledger-Technologien (DLT) global bekannt. Kaum jemand spricht über neue digitale Geschäftsmodelle, ohne DLT und Blockchain zu berücksichtigen. Tatsächlich herrscht bei der Entwicklung neuer, auf DLT basierender dezentraler Lösungen grosse Dynamik.
Wo sehen Sie die grösste Herausforderung?
Die vielen Expertinnen und Experten müssen gut koordiniert werden, und der Auftrag muss klar sein. Dies erfordert eine gute Kommunikation.
Lukas Möhr, Programme Manager Umwelt
Seit wann wird an Normen zum Thema Circular Economy (Kreislaufwirtschaft) gearbeitet?
Lukas Möhr: Ein neues technisches Komitee bei ISO ist das ISO/TC 323 Circular economy. Es wurde erst 2018 gegründet und hat dementsprechend noch keine fertige Norm publiziert. Im Moment leistet das Komitee auf internationaler Ebene die Vorarbeit, um in naher Zukunft die Erarbeitung einer Norm starten zu können. Es sind Expertinnen und Experten aus 58 verschiedenen Ländern daran beteiligt.
Was ist das Ziel Ihrer Arbeit?
Im Bereich der Kreislaufwirtschaft kann die Normung einen Anstoss zur Vereinheitlichung der verschiedenen Bemühungen geben. Mehrere Beteiligte starten mit Aufrufen oder bereits mit konkreten Massnahmen gegen die lineare Wirtschaft, welche die Verschwendung der Ressourcen verstärkt. Wenn diese aber in unterschiedliche Richtungen zielen, verpufft die Wirkung. Die Normung hilft, dass alle am gleichen Strick und in dieselbe Richtung ziehen.
Warum ist Ihr Thema zukunftsrelevant?
Der Klimawandel beschäftigt nicht nur die Bevölkerung in der Schweiz, sondern auch die Menschen in praktisch allen anderen Ländern der Welt. Expertinnen und Experten suchen verschiedene Lösungsansätze zur Reduzierung der Auswirkungen der unterschiedlichsten Lebenssituationen auf die Umwelt. Ein diskutierter Ansatz ist die Kreislaufwirtschaft. Dabei wird versucht, ein Produkt nach dem Gebrauch ganz oder zumindest teilweise wieder aufzubereiten, sodass es erneut oder als neuer Rohstoff verwendet werden kann. Hierbei stehen die Verlangsamung und die Schliessung der Material- und Energiekreisläufe im Vordergrund. Ein Beispiel dafür ist die langlebige Konstruktion, die Wiederverwendung oder das Recycling eines Produkts.
Wo sehen Sie die grösste Herausforderung?
Das Thema Umwelt und Circular Economy im Speziellen ist momentan in aller Munde. Deshalb ist es wichtig, dass es seriös behandelt und nicht übermässig strapaziert wird. Es soll nicht von Anfang an zu stark forciert werden, sodass nach einiger Zeit die Motivation nachlässt und die Lösungsvorschläge versanden. Ebenfalls ist zu beachten, dass die Anforderungen schrittweise eingeführt werden können. Eine zu schnelle Steigerung wird nicht zielführend sein. Trotzdem darf nicht getrödelt werden.
Barbara Guder, Programme Manager Energie
Seit wann wird an Normen zum Thema Energie- und Gasversorgung gearbeitet?
Barbara Guder: Ich betreue Normenprojekte im Bereich der Energie- und Gasversorgung sowie des Tankstellennetzes. In diesen etablierten Branchen werden schon seit Jahrzehnten internationale Normen entwickelt und angewendet. Das Thema Energie ist sehr vielseitig, und die Normen werden daher in verschiedenen Normenkomitees entwickelt, meist getrennt nach Energieträgern. So gibt es zum Beispiel das internationale ISO/TC 28 Petroleum and related products and fuels sowie das ISO/TC 193 Natural gas. Für den Bereich elektrische Energie gibt es sogar eine eigene Internationale elektrotechnische Kommission (IEC).
Zurzeit befindet sich die gesamte Energiebranche im Umbruch. Um die Klimaziele zu erreichen, muss das heutige Energiesystem transformiert werden, weg von den fossilen Energien, hin zu erneuerbaren Energien. Diese technologische Transformation kann nur mit Hilfe von Normen umgesetzt werden.
Was ist das Ziel Ihrer Arbeit?
Die Dekarbonisierung des Energiesystems und die Integration volatiler erneuerbarer Energien stellen eine grosse Herausforderung dar. Das Energiesystem der Zukunft wird im Gegensatz zum heutigen zentralen System ein dezentrales, flexibles und intelligentes System sein. Die traditionellen Grenzen zwischen den Sektoren Strom, Gas und Wärme werden zunehmend aufgehoben. Damit ein solches intelligentes Energienetz reibungslos funktionieren kann, müssen die vielfältigen Komponenten und Schnittstellen gut aufeinander abgestimmt sein. Weltweit entwickeln Expertinnen und Experten Normen für neue Power-to-X-Technologien, intelligente Messgeräte und Sensoren sowie für neuartige Speichertechnologien. Aber auch die Qualitätsanforderungen an erneuerbare Energieträger wie Biogas, Bioheizöl und Wasserstoff werden in Normen festgelegt.
Warum ist Ihr Thema zukunftsrelevant?
Der Klimawandel ist eine globale Herausforderung, und weltweit erarbeiten Menschen Programme und Massnahmenkataloge, um die weitere Erderwärmung zu verhindern und die CO2-Emissionen zu reduzieren. Da der Gebäudesektor und die Mobilität massgeblich zu den CO2-Emissionen beitragen, versucht man, hier den Hebel anzusetzen und neue Wege zu gehen. Das Energiesystem der Zukunft muss «weiter» gedacht werden als bisher, und es wird viel vernetzter sein.
Die Strom-, Gas- und Wärmenetze rücken zusammen, und Gebäude und Autos werden Teil des zukünftigen Energiesystems. Gebäude produzieren Strom mit Solaranlagen, und Autos dienen als Energiespeicher oder verbrauchen erneuerbaren Wasserstoff in einem Brennstoffzellenantrieb.
Wo sehen Sie die grösste Herausforderung?
Genauso wie die Technologien immer näher zusammenrücken und interdisziplinäre Lösungsansätze gefragt sind, müssen sich auch die Organisationen und Unternehmen transformieren, Netzwerke bilden und Kooperationen eingehen. Weg vom Schubladendenken (Silo) und hin zu interdisziplinären Teams. Dies stellt eine grosse Herausforderung für die Energiebranche dar, die eher konservativ aufgestellt ist und bisher stark getrennt nach Energieträgern agiert hat. Auch die Märkte sind unterschiedlich reguliert, so etwa der Strom- und der Gasmarkt.
Hier ist der Gesetzgeber gefragt, neue marktgerechte Regulierungen zu erlassen. Eine weitere Herausforderung ist, dass die Schweiz eingebettet ist in einen europäischen Energiemarkt (ein Energienetz) und keine Insellösungen etablieren kann. Wenn es um die Integration von erneuerbaren Gasen wie Biogas und Wasserstoff in das Energienetz geht, dann kommt dem nationalen Normenkomitee INB NK 162 «Gas» eine grosse Bedeutung zu. Im Normenkomitee sind momentan 20 Expertinnen und Experten tätig, vorwiegend aus den Fachverbänden. Dort würden wir uns noch mehr Vertreterinnen und Vertreter seitens der Industrie und Forschung wünschen.
In der internationalen Wasserstoff-Normung ist die Schweiz zurzeit leider nur passives Beobachterland. Ziel für 2020 ist es, dass die Schweiz hier eine aktivere Rolle in der Normung übernimmt und ihr Know-how in die internationale Normung einbringt.
Marcel Knecht, Leiter Normung und Internationale Beziehungen, Programme Manager SWISSMEM-Themen
Auf europäischer Ebene wurde im Jahr 2015 das CEN/TC 439 gegründet. Das Europäische Komitee arbeitet aktuell nicht an eigenen Normenprojekten, sondern bringt die Expertise bei ISO ein. Auf nationaler Ebene bringen die Expertinnen und Experten des SWISSMEM/NK 1261 Rapid Prototyping and Rapid Manufacturing ihre Expertise ebenfalls im ISO-Normenkomitee ein.
Was ist das Ziel Ihrer Arbeit?
Additive Manufacturing ist eine noch sehr junge Technologie, welcher eine sehr grosse Zukunft vorausgesagt wird. In einer ersten Phase wurden Normen über grundlegende Anforderungen und Terminologie erarbeitet. Bei den neuen Normenprojekten geht es nun um die technischen Details wie Testmethoden, Nachbearbeitungsmethoden oder Dateiformate. Das primäre Ziel dabei ist, die Interoperabilität und Vergleichbarkeit der Erzeugnisse zu verbessern.
Warum ist Ihr Thema zukunftsrelevant?
Additive Manufacturing ist für die Zukunft sehr relevant. Dank dieser materialauftragenden Fertigungstechnologie ist es möglich, Bauteile mit völlig neuen Strukturen und Geometrien herzustellen, die mit den konventionellen Fertigungsprozessen wie Fräsen, Drehen, Bohren nicht möglich sind. So können die Materialstärken und Teile-Geometrien exakt den Belastungen angepasst und besonders leichte und widerstandsfähige Bauteile hergestellt werden. Zudem ist der Prozess sehr flexibel. Hoch technologisierte Unternehmungen stellen innerhalb von 24 Stunden Teile für Prototypen her und können damit die Entwicklungszeit von neuen Produkten enorm verkürzen.
Wo sehen Sie die grösste Herausforderung?
Da im Thema Additive Manufacturing sehr viele Start-up-Unternehmungen tätig sind, ist es sehr aufwendig, den Nutzen des Engagements für die Normung zu erklären. Vielfach scheitert es an den limitierten personellen Ressourcen dieser jungen Unternehmen. Nichtsdestotrotz ist es gerade für Start-ups entscheidend, die Normenprojekte im Auge zu behalten.
Ihr Mitwirken ist gefragt!
Möchten Sie bei der internationalen Entwicklung von Normen mitwirken? Durch die Teilnahme in einem nationalen Normenkomitee bringen Sie Ihre Produkte und Dienstleistungen schneller auf den Markt dank Informationsvorsprung gegenüber Mitbewerbern. Als Komitee-Mitglied treffen Sie andere nationale Branchenexperten und können neue Normenentwürfe mit diesen diskutieren. Zudem haben Sie die Möglichkeit, internationale Kontakte zu knüpfen.
Mehr erfahren unter https://www.snv.ch/de/mitglieder/vorteile-der-mitgliedschaft.html!
(Quelle/ Bilder: SNV)